Filmwissen
nichts anderes als ins Gigantische projizierte Melodramen.
Die Stoffe des Antikfilms wurden als «schwer» empfunden, das heißt ihr Aufwand schien auf eine ebenso große «innere» Bedeutung hinzuweisen, während es dem Publikum doch hauptsächlich um die Schauwerte des Genres ging. Und doch entwickelte sich hier etwas, das auf die späteren Entwürfe phantastischer Welten im populären Film der USA hindeutete. Dekorationen und Architekturen begannen sich von den strengen moralischen und «historischen» Bedeutungen zu trennen und die Phantasie des Zuschauers auf abenteuerliche Seitenwege zu führen.
Hollywoods antike Parabeln 1950–1960
Das römische Weltreich und seine autokratischen Herrschaftsstrukturen übten in den fünfziger Jahren eine starke Faszination auf das amerikanische Publikum aus, da man sich seiner eigenen Situation als Weltmacht ebenso bewusst geworden war wie der Tatsache, dass auf «der anderen Seite» ein nahezu ebenso starkes «Weltreich» stand. Um die eigene, durchaus zwiespältig empfundene Lage zu benennen, tat man einen tiefen Griff in die Geschichte. Das Zwiespältige äußerte sich unter anderem darin, dass die Filme auf der einen Seite an den Römern die Technologie, die Robustheit, den Pragmatismus bewunderten, auf der anderen Seite aber eine kleine, korrupte Herrscherclique als Musterbild degenerierter Macht schilderten. Es gab den Unterschied zwischen dem typischen «gesunden» römischen Offizier, der sich früher oder später zum Christentum bekennen musste, und der wahnsinnigen, unmoralischen, in permanente Intrigen verwickelten Gruppe von Männern und Frauen um den Kaiser. (Die Motive für dieses Bild lassen sich sowohl nach «links» als auch nach «rechts» hin interpretieren; es handelt sich nicht um eine dezidiert politische Allegorie, vielmehr um eine sehr puritanische Art des Umgangs mit einem faszinierenden historischen Bild, von dem man wusste, dass die Geschichte es verworfen hatte.)
Androcles and the Lion ( Androkles und der Löwe ; 1952, Regie: Chester Erskine), wiederum nach einem Stück von George Bernard Shaw entstanden, ist die Geschichte eines Sklaven, der einen Löwen von einem Dorn befreit hat, welcher ihn später, als er ihm in der Arena gegenübersteht, verschont. Erskines eher statischer Film war eine Parabel über Schicksal und Macht. David and Bathseba ( David und Bathseba ; 1952, Regie: Henry King) führte die Linie der biblisch-erotischen Melodramen fort. Der im selben Jahr entstandene Film Quo vadis ( Quo vadis ), inszeniert von Mervyn LeRoy, zeigt nicht nur sehr deutlich das Abenteuer als Flucht aus der Geschichte, sondern auch das römische Reich in seinem Verfallsstadium als Allegorie für die Notwendigkeit moralischer und politischer Wandlung.
Die Handlung von LeRoys Film ist der von The Sign of the Cross nicht unähnlich: Im Rom zur Zeit der Schreckensherrschaft Kaiser Neros (Peter Ustinov) entwickelt sich eine Liebesgeschichte zwischen einem römischen Offizier (Robert Taylor) und einer Christin (Deborah Kerr), und auch hier endet sie damit, dass der Römer sich nach vielen Wendungen der Handlung bekehrt und mit den Christen in die Arena kommt. Doch nun erheben sich auch die Römer gegen Nero; das Paar wird gerettet, und Nero ereilt sein verdientes Schicksal.
Das mehr als dreistündige, opulent ausgestattete Spektakel (man berichtete von 29 Hauptdarstellern, 30.000 Statisten, 115 Dekorationen, 63 Löwen, 450 Pferden, 85 Tauben und 2 Geparden, von für damalige Verhältnisse spektakulären 8 Millionen Dollar Produktionskosten und zwei Jahren Herstellungszeit) gibt ein verklärendes und doch auch sehr puritanisches Bild vom Frühchristentum, und eigentlich nur durch die Übertreibung der römischen Sünden bis zur Karikatur (etwa in der Darstellung Neros) gelingt es dem Film, darzutun, warum eigentlich das Christentum der augenscheinlich doch sehr viel toleranteren Religion der Römer vorzuziehen ist. Als politische Metaphorik lässt sich allenfalls die Trennung von Staat und Religion ausmachen. (In Quo vadis hat übrigens der bärenstarke Sklave Ursus als Beschützer der Christin einen ersten Auftritt, der später zu einem der Haupthelden in den italienischen Muskelprotzfilmen werden sollte.)
Im Jahr darauf folgt Julius Caesar ( Julius Cäsar ; Regie: Joseph L. Mankiewicz), entstanden nach dem Bühnenstück von William Shakespeare. Dieser ganz auf die Schauspieler (darunter Marlon Brando, James Mason, John Gielgud, Deborah Kerr)
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