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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Reategui
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bohrten unsichtbare Messer, jede Bewegung war eine Tortur.
    Langsam kam ihm der gestrige Abend wieder zurück. Die beiden Männer und die gereizte Vorsicht, die zwischen ihnen geherrscht hatte. Die seltsamen Verhandlungen. Er hatte keine Ahnung, wem er die Seife andrehen sollte, mit der sie sicher auf ihn zukommen würden. Schon um zu sehen, ob er taugte. Er würde sich etwas einfallen lassen müssen. Hatten sie gesagt, wie sie hießen? Er erinnerte sich nicht. Später waren sie zusammen in die Spielmannsgasse gegangen, wo der Pakt bei einer Runde Bier besiegelt wurde. Der Wirt hatte sich von der neuen Entwicklung wenig begeistert gezeigt, und auch der Bastard war schweigsam geblieben. Griet war noch immer nicht wieder aufgetaucht. War sie ihnen lästig geworden? Hatte sie zu viel Zeit mit ihm verbracht statt zahlungswillige Freier anzubringen?
    Dann dachte er an das Kind. Er hatte gehofft, dass ein Name fallen würde oder auch der von Tilman, irgendein Hinweis. Aber vergeblich, die beiden Männer verrieten sich mit keiner Silbe. Er wollte sich dumm stellen. Für sie würde er nichts anderes sein als der tumbe Welsche, der einfältige kleine Rüsca aus der Lombardei, der Abnehmer für ihr Diebesgut finden würde. Das konnte er, das hatte er gelernt. Und, wer weiß, vielleicht sprang ja gutes Geld für ihn dabei heraus. So lange, bis er wüsste, was mit dem Kind geschehen war. Und dann?
    Giacomo griff unter die Matratze, zog seinen Sacchetto aus dem Loch darunter und stand auf. Die dünne Plörre aus geröstetem Hafer, die der Spelunkenwirt ihm vorsetzte, wenn Griet nicht da war, ersparte er sich. Zum Holzmarkt waren es nur wenige Schritte, der Gang durch die frische Morgenluft tat ihm gut. Er musste Tilman treffen.
    Zwei Stunden lang suchte er, aber niemand konnte oder wollte ihm helfen. Die Torwachen an der Nächelskaulenpforte, wo, wie er wusste, Tilman gern saß, schüttelten die Köpfe. Auch die Magd in der Wirtschaft, in der er vor zwei Tagen das Bier gekauft hatte, wusste nichts. Er fragte Bewohner des Armenhauses und die Fischer am Wasser, die Holzträger und Hacker, die Plätterin und den stummen Alten mit dem schaumverkrusteten Mund aus der Holzgasse. »Er saß doch mit dir am Sonntag dort auf der Bank«, erinnerte sich ein junges Mädchen und deutete über den Platz zu der Stelle, wo er sich mit Tilman unterhalten hatte. Danach hatte ihn anscheinend niemand mehr gesehen.
    Giacomo war enttäuscht und erleichtert zugleich. Was hätte er mit ihm gemacht, wenn er ihn aufgetrieben hätte? Verprügelt! Grün und blau geprügelt hätte er ihn. Bis er nicht mehr hätte laufen können. Er hätte ihm die Zunge aus dem Hals gerissen, wenn er ihm nicht gesagt hätte, was mit dem Kind war. Tilman. Er hatte ihn für einen Freund gehalten. Sein Magen verkrampfte sich. Er krümmte sich, presste beide Hände auf den Bauch. Nur langsam ließ der Schmerz nach. Giacomo holte tief Luft, er bemühte sich, ein paarmal ruhig ein- und auszuatmen, dann war der Anfall vorüber.
    Seine letzte Hoffnung war Gerrit vom »Fliegenden Amsterdamer«. Seit dem ersten Mal war er nicht wieder in der kleinen Schenke unterhalb von Sankt Maria Lyskirchen gewesen, und der Niederländer erkannte ihn nicht. Aber er gab bereitwillig Auskunft.
    Â»Ein Kind über Bord? Das war Moritz, der Laufjunge von Spediteur Dalmonte. In der Nacht zu Karfreitag. Armes Kerlchen. Gott ist nicht gerecht, nein, wirklich nicht.« Der Wirt schüttelte den Kopf.
    Giacomo schluckte. Dass er nun schon wieder in den Filzengraben musste, behagte ihm gar nicht. Aber es musste sein. Er hatte sich vorgenommen, diese Sache zu Ende zu bringen. Um vielleicht eines Tages wieder ohne Alpträume schlafen zu können.
    Das Mädchen, das ihm aufmachte, war klein und rund und musterte ihn neugierig. Nein, der Herr sei nicht zu Hause, antwortete es ihm auf seine Frage.
    Â»Ist sonst jemand da, der mir Auskunft geben kann?«
    Giacomo hielt die Tür fest, bevor die Magd sie schließen konnte.
    Â»Wegen einer Lieferung?«, fragte sie verunsichert.
    Â»Ja, wegen einer Lieferung.«
    Â»Warte, ich werde nachschauen.«
    Sie ließ ihn nicht herein, und er trat zurück auf die Straße. Aber kurz darauf hörte er drinnen erneut Schritte, und die Haustür wurde geöffnet.
    Die junge Frau schien überrascht zu sein, ihn zu sehen. Sie trug ein Ausgehkleid,

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