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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Reategui
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machte sie sich zunutze. Produkte fälschen und damit die kleinen Leute blenden? Warum nicht, wenn sie sich blenden ließen? Reich werden um jeden Preis? Wollten das nicht alle? Farina, der Dottore. Und Tilman. Immer nur Kloaken reinigen? Damit kam man nicht weit. Man musste erfinderisch sein, wenn man es zu etwas bringen wollte. Der Schuster, für den Giacomo die Zoccoli ausgetragen hatte, war nie müde geworden, ihm vom Lug und Trug der Großkopfeten zu erzählen. Und der war ein alter Mann, der viel Erfahrung hatte. Giacomo glaubte ihm. Auch sie hatten sich abgerackert auf Piodabella, Tag für Tag, sommers wie winters, die Eltern, die Nachbarn. Aber hatte es irgendjemand zu irgendetwas gebracht? Keiner. Nicht einmal ins Dorf konnten sie hinunterziehen, nach Albogno oder gar nach Santa Maria. Selbst wenn der kleine Angelino bis zur Brust im Schnee versank, mussten sie auf der Alm ausharren. Pepe, der jüngste Enkel der Nonna, hatte es nicht überlebt. Nein, mit Ehrlichkeit war kein Staat zu machen.
    Â»Um Aqua mirabilis in diesem Umfang herzustellen, brauche ich mehr Leute. Allein ist das nicht zu bewerkstelligen«, hörte er den Dottore sagen. Da war sie wieder, diese Schärfe im Ton, bei der Giacomo immer den Eindruck hatte, der andere führe noch etwas im Schilde, eine glänzende Idee, einen durchtriebenen Plan, den er aber so unbedeutenden Handlangern, wie sie es alle in seinen Augen waren, nie mitteilen würde. Der Dottore ließ sich also auf das betrügerische Spiel ein, er schien Blut geleckt zu haben. Giacomo konnte sich vorstellen, was in ihm vorging: Mit dem Unbekannten im Hintergrund würde er Farina in den Ruin treiben – Tilman hatte wahrscheinlich die Rechnung mit dem Falschen gemacht. Giacomo triumphierte.
    Â»Und wer beschafft mir die ganzen Sachen? Ist euer Herr dazu in der Lage?«, drängte der Römer, als er nicht sofort eine Antwort bekam. Er mochte es nicht, wenn man ihn warten ließ.
    Â»Halt deine Zunge im Zaum. Du wirst bekommen, was du brauchst«, fuhr der Blonde ihn an. Aber Giacomo spürte, dass die überraschende Selbstsicherheit des Dottore den Angreifer verunsicherte.
    Â»Wir schaffen noch immer alles herbei, was das Herz begehrt. Wir verstehen uns auf Besorgungen«, dröhnte der zweite Mann dazwischen. Da hatte Giacomo eine Eingebung.
    Â»Könnt ihr auch …« Er hielt inne und wartete. Alles drehte sich nach ihm um, sie hatten ihn vergessen gehabt.
    Â»Könnt ihr auch feine englische Seife besorgen? Ich bin heute Morgen danach gefragt worden. In Brühl«, ergänzte Giacomo und bemühte sich, seiner Stimme einen unbefangenen Ton zu geben.
    Â»Englische Seife? Nichts leichter als das«, höhnte der Lange.
    Â»Die haben wir neulich erst bekommen, gute Ware, frisch vom Schiff«, ergänzte der zweite Mann, schwieg aber sofort, als der Erste mit der Holzlatte auf den Tisch knallte.
    Er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Wein, Zucker und Seifen, hatte Tilman gesagt, englische Seife. Und das Kind …! Wer war dieses Kind und was hatte es ihnen getan, dass sie die Nerven verloren hatten? Selbst für Tilmans Geschmack waren sie damit wohl zu weit gegangen. Oder war es doch nur ein Trick, um ihn umso leichter um sein Erspartes zu bringen? Eigentlich wollte er Tilman nicht mehr wiedersehen, aber er musste wissen, was es mit diesem Kind auf sich hatte. Das war er sich schuldig, sich und …
    Das tote Kind drängte sich in seine Erinnerungen und wühlte darin wie in einer brennenden Wunde. Obwohl er nie mehr an diese Geschichte hatte denken wollen. Bisher war es ihm gelungen, alles hatte er aus seinem Gedächtnis getilgt. Glaubte er wenigstens. Doch jetzt tauchte es wieder auf, dunkel und verschwommen, ein bohrender Schmerz. Er stand auf. Noch etwas schwankend ging er hinüber zu den drei Männern. Er unterdrückte seine Angst. Wie selbstverständlich setzte er sich zu ihnen an den Tisch.
    Â»Chapeau!«, schmeichelte er. Die Stimme versagte ihm fast, aber dann bekam er sich in den Griff.
    Â»Eure Idee ist ausgezeichnet. Von Ölen und Essenzen verstehe ich nichts, aber im Handeln bin ich Meister. Bringt mir eure Seife, ich werde für euch einen guten Preis rausschlagen.«

DREIUNDZWANZIG
    Das Morgenlicht drang unbarmherzig durch die geschlossenen Lider. Giacomo drehte sich zur Wand und zog die Decke über den Kopf. Sein Kopf dröhnte, in seinen Schläfen

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