Final Cut - Etzold, V: Final Cut
Einerseits wollten sie, dass man das operative Geschäft voranbringt und Gewinne abliefert, andererseits hielten sie einen genau davon ab, indem sie den ganzen Tag Telefonterror machten.
Ganz einfach, hatte Torino dem Mann gesagt. Genau heute geht es weiter. Beginn um 22.00 Uhr. Relativ spät, da die Studio-Nutzungsgebühren dann geringer waren.
Eine erste Dummyversion der Website von Shebay war bereits online geschaltet worden. Es hatten sich immerhin fünfhundert Kandidatinnen gemeldet, aus denen die User vierzig Favoritinnen ausgewählt hatten. Aus diesen vierzig Favoritinnen würden in einem Livecasting die Top Ten ausgewählt, aus denen dann Miss Shebay gewählt wurde.
Torino stieg in seinen Boxter, der in der Tiefgarage stand, aktivierte die Freisprechanlage und rief Jochen an, den Produktionsleiter vor Ort. »Schon alle da?«
»Ja. Die Miezen warten sehnsüchtig auf dich. Sieh zu, dass du bald hier eintrudelst. Wir müssen noch die Maske und alles machen. Hast du die Speaking Notes gekriegt?«
»Ja, kann ich fast auswendig.« Torino grinste, wenn er an die Sprüche dachte, die er heute Abend auf die Kandidatinnen abfeuern würde. Die Sendung wurde aufgezeichnet. Je nachdem, wie gut es lief, würde man dann die Marketingmaschinerie anwerfen und das Ganze noch einmal als scheinbares Live-Event senden. Obwohl sie Xenotech noch nicht als Kooperationspartner an Bord hatten, hatten die Investoren ein paar Hunderttausend für die Werbung springen lassen. Man würde die Show auf Privatsendern ankündigen, ebenso im Internet und durch mehr oder weniger subtile Mundpropaganda im Stile von: »Da gibt’s jetzt eine Show mit scharfen Miezen, mit denen du sogar ins Bett steigen kannst.«
»Zu den richtig Hübschen musst du schon ein bisschen nett sein«, sagte Jochen, »aber dennoch hart. Wir sind die Bosse. Wir entscheiden über Aufstieg und Untergang. Das müssen die Tussen kapieren, klar?«
»Klar.«
»Fortune is a woman«, fuhr Jochen fort, »you ’ve got to beat her.«
»Ist das Shakespeare?«, fragte Torino, während sein Boxter die Straße des 17. Juni herunterbrauste.
»Es ist Fakt«, sagte Jochen. »Mach es so, wie es auf dem Script steht, nur ein bisschen aggressiver. Ich weiß, dass du das draufhast. Wir müssen knallhart und richtig böse sein und den Castingfuzzies dieser Welt zeigen, wo der Hammer hängt.«
Torino nickte, während er an der Siegesssäule vorbeifuhr. Bringt uns hoffentlich Glück , dachte er.
»Wie bei den Marines«, sagte Jochen. »Nur wer auf null reduziert wird, kann auf über hundert wachsen. Gegen uns muss die Konkurrenz wie die Telefonseelsorge aussehen.«
»Das wird sie«, sagte Torino, während der Boxter Richtung Kaiserdamm beschleunigte. »Ich muss noch einen Call machen, der Typ ist gleich schon wieder im Flieger.«
»Okay«, sagte Jochen. »Wir sehen uns dann im Studio.«
Torino beendete die Verbindung, um Tom Myers anzurufen.
12.
Der Monitor des Laptops war schon eine ganze Weile dunkel. Clara fragte sich bereits, ob das nicht tatsächlich nur ein Scherz war.
Er blieb dunkel.
Zehn Sekunden.
Dreißig Sekunden.
Eine Minute.
Winterfeld blickte auf die Uhr. »Sollen wir vorspulen?«
Friedrich schüttelte den Kopf. »Kann Absicht sein. Vielleicht verpassen wir irgendwas, oder das Ding lässt sich nur einmal abspielen.« Er blickte verbissen auf den schwarzen Monitor, während die kleine Kamera im Hintergrund den Bildschirm filmte.
Plötzlich war das Bild da.
So unvermittelt und so schockierend, dass Silvia einen leisen Schrei ausstieß und Winterfeld die Luft durch die Zähne einzog.
Es war kein Scherz. Es war grauenhafte Realität.
Auf dem Bildschirm war ein junges Mädchen zu sehen, blond, die Augen voller Todesangst, das Gesicht von Tränen verschmiert. Schwarze Wimperntusche lief ihr wie eine bizarre Kriegsbemalung die Wangen hinunter. Sie schien an einen Stuhl gefesselt zu sein und blickte abwechselnd in die Kamera, nach rechts und links. Manchmal versuchte sie den Kopf nach hinten zu drehen, als würde dort irgendetwas lauern, was diese dämonische Inszenierung zu verantworten hätte.
Dann kamen die Hände. Zwei große Hände in schwarzen Gummihandschuhen, die sich auf die Schultern des Mädchens senkten. In einer Hand blitzte eine Klinge.
Irgendetwas füllte die Wangen des Mädchens, und sie spuckte es auf den Boden, während ihr Körper zitterte und die großen Hände in den Gummihandschuhen wie die Hände einer Statue auf ihren Schultern
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