Final Cut - Etzold, V: Final Cut
herausgeschnitten.«
»Entzückend«, sagte Clara. »Kann man das wirklich als ›guten Schluss‹ bezeichnen?«
Friedrich legte den Brillenbügel an den Mund, während er mit verschränkten Armen vor dem Poster stand. »Am Ende lädt Titus die Gotenkönigin und den Kaiser zu einem Festmahl ein, bei dem es eine Pastete gibt. Eine Pastete für die Königin. Sie besteht aus den gemahlenen, mit Blut getränkten Knochen ihrer Söhne.«
»Das war wohl kein Versöhnungsmahl«, sagte Clara.
»›Hier sind sie schon, zerhackt zu Teig, von dem die Mutter lüstern hat genossen, verzehrend das Fleisch dem eigenen Fleisch entsprossen‹«, zitierte Friedrich den großen englischen Dichter. »Kannibalismus, oder was würden Sie sagen?«
Clara nickte. »Klingt nach Hannibal Lecter. Fehlen nur die Fava-Bohnen und der Chianti.«
»Das ist das Geniale an diesem Film«, ergänzte Friedrich. »Hopkins spielt Titus Andronicus nicht als Anthony Hopkins, er spielt ihn in der Rolle, mit der man ihn bis ins Grab assoziieren wird, als Hannibal der Kannibale.« Er nahm die Hände aus den Taschen, ging zurück zum Schreibtisch und wies auf einen der Lederstühle. »Nehmen Sie Platz.«
Clara setzte sich.
»Sie müssen verzeihen«, sagte Friedrich, setzte sich an den Schreibtisch und lehnte sich zurück. »Ich wollte früher Englischlehrer werden und habe etwas unverbesserlich Pädagogisches an mir. Stets muss ich alle und jeden auffordern, Shakespeare zu lesen. Denn wer das tut, lernt den Menschen kennen. Das Gute und das Böse in uns allen.«
»Das Böse haben Sie im letzten Fall ja hervorragend klassifiziert«, sagte Clara. »Dank Ihrer Mithilfe haben wir Bernhard Trebcken erwischt, den Werwolf.«
»Was für ein kranker Mann.« Friedrich verzog das Gesicht. »So ein Mensch ist selbst mir lange nicht untergekommen, falls man ihn überhaupt noch als Menschen bezeichnen kann.« Er blickte zur Decke. »Der exploitive Typ des Vergewaltigers und Mörders. Völlig ohne Planung, desorganisiert und unkalkulierbar – und daher sehr gefährlich. Ihm geht es nur darum, sein Opfer vollkommen zu beherrschen, zu erniedrigen und zu einem bloßen Objekt zu machen, bis es am Ende wirklich ein Objekt wird: ein toter Körper ... tote Materie.« Er blickte wieder in die Augen Claras. »Wissen Sie, dass der Begriff ›Werwolf‹ das Pferd eigentlich von hinten aufzäumt?«
»Inwiefern?«
»In der gesamten Menschheitsgeschichte gab es Serienkiller, auch wenn dieser Begriff natürlich noch nicht existierte. Männer, ganz selten auch Frauen, die ihre Opfer getötet und verstümmelt haben. Die Bevölkerung konnte sich normalerweise nicht erklären, wie ein Mensch zu so etwas fähig sein kann. Man kam zu dem Schluss, dass eine solche Tat nur von einem Dämon verübt worden sein könnte, von einem Ungeheuer in der Gestalt eines Mannes und mit der Kraft eines Tieres, eine Mischung zwischen Mensch und Wolf – dem Werwolf.«
Er beugte sich nach unten, um die Höhe seines Schreibtischstuhles zu verstellen; dann fuhr er fort: »Wenn man Berichte über vermeintliche Werwolfattacken aus dem sechzehnten Jahrhundert liest, kann man eine auffällige Ähnlichkeit mit unserem Mörder feststellen. Kontradiktische Verschränkung. Wir hatten im Mittelalter und der Renaissance einen Werwolf, der in Wirklichkeit ein Serienkiller war, und wir haben im einundzwanzigsten Jahrhundert einen Serienkiller, der Werwolf genannt wird. Und das zu Recht, nicht wahr?«
»Zu Recht.« Clara schlug die Beine übereinander und lehnte sich zurück, während sie den Totenschädel auf dem Eichenschrank hinter dem Schreibtisch betrachtete.
Friedrich fuhr fort: »Der Werwolf hat einige Frauen nach der Vergewaltigung, die sowohl vor Eintritt des Todes als auch post mortem stattfand, mit einer Axt zerhackt. Er hat so blindwütig auf die Leichen eingeschlagen, dass einige Axthiebe nicht nur die Gliedmaßen durchtrennt, sondern den Matratzenkern des Bettes durchschlagen und das Parkett darunter zerstört haben. Hat die Gerichtsmedizin ermittelt.«
Clara nickte. »Ich kenne die Akte. Er hat sich dermaßen in seinen Hass hineingesteigert, dass er die Leichenteile einiger Opfer in unkontrollierbarer Wut durch die Wohnung geschleudert hat. Und dann ließ er sie dort liegen.«
»Der Traum eines jeden Vermieters.« Friedrich schürzte die Lippen. »Indizien hochgradig schizoider Persönlichkeitsstörung, verbunden mit pathologischen Allmachtsphantasien.« Er schaute Clara an. »Was hatten Sie mit
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