Final Cut - Etzold, V: Final Cut
Gespräch mit Torino, nachdem er vorher ständig zu immer neuen, scheinbar wichtigeren Telefonaten wechseln musste, während Torinos Boxter über die Avus stadtauswärts Richtung Potsdam jagte.
»Hättest du nicht früher anrufen können?«, sagte Myers. »Dann wäre ich besser erreichbar gewesen.«
»Ich habe den ganzen Nachmittag mit den Anwälten telefoniert«, sagte Torino. »Darum ist es so spät geworden. Wo bist du gerade?«
»Noch in Frankfurt. Ich nehme die letzte Maschine nach Berlin und bin gegen 22.30 Uhr in Tegel.«
»Klasse«, sagte Torino. »Dann lass uns einen Absacker trinken, und ich erzähl dir, wie die Sendung gelaufen ist.«
Myers schwieg kurz, während Dreilinden am Porschefenster vorbeiraste. »Könnte klappen«, sagte er dann. »Ich melde mich, wenn ich da bin. Was war denn mit den Anwälten?«
»Gute Nachrichten«, sagte Torino. »Es kann sein, dass das staatliche Glücksspielmonopol in Deutschland wackelt – irgendeine EU-Bestimmung. Manchmal können die verkalkten Bürokraten in Brüssel sogar ganz nützlich sein. Für uns könnte das bedeuten, dass wir alles aus Deutschland betreiben können – Server, Sender und so weiter – und uns damit juristisch keinen Ärger einhandeln. Schließlich kann man in unserer Sendung auf etwas wetten. Zwar nicht auf Zahlen, aber auf Frauen.«
»Das sind ja mal gute Nachrichten«, sagte Myers.
»Hat du schon über den Website-Deal nachgedacht?«, fragte Torino.
»Ja.«
»Und? Hast du dich entschieden?«
»Nein. Bring mir nachher das Feedback der Sender mit, was sie von der Show halten und wie viel sie dafür zahlen würden. Wie wär’s, wenn wir uns kurz vor Mitternacht im Grill Royal treffen?«
Torinos Miene verfinsterte sich ein wenig. Typisch Ami, dachte er. Das Gesetz der großen Zahl. Dinge sind nur etwas wert, wenn auch tausend andere bereit sind, dafür zu zahlen. Und das war das Ursprungsland von Microsoft und Apple?
»Hört sich an, als wärst du noch skeptisch.«
»Bin ich auch. Die Sache ist nicht ganz ohne Risiko.«
»Nur Menschen, die schlafen, gehen kein Risiko ein«, erwiderte Torino. »Und selbst da gibt es Leute, die aus dem Bett fallen und sich das Genick brechen.«
»Dann müssen wir erst recht vorsichtig sein.«
»Warum? Ihr stellt doch nur die Landing Page. Mit den Inhalten habt ihr nichts zu tun. Die kommen von uns.«
»Das stimmt schon«, sagte Myers, während Torino durch die Dunkelheit die dreispurige Autobahn hinunterjagte, wobei vereinzelte Regentropfen gegen die Windschutzscheibe klatschten. »Ihr macht den Schweinkram, und wir senden ihn in die Welt. Aber egal, wie weit man den Dreck von sich wirft, ein bisschen bleibt immer am Werfer hängen. Bis nachher.«
Myers hatte aufgelegt.
Torino beschleunigte wütend auf Tempo 200 und hörte sich das Script für die Show noch einmal als Sounddatei über die Audioanlage an. Seine schlechte Laune war genau richtig für das, was jetzt vor ihm lag.
15.
Es goss in Strömen, als Clara, die Hände tief in den Taschen eines vom LKA ausgeliehenen Regenmantels, den nächtlichen Mehringdamm hinunterlief. Autoscheinwerfer brachen sich im Gegenlicht. Radfahrer und Fußgänger hatten es eilig, dem Regen zu entkommen. Doch Clara wollte draußen sein, frei sein. Sie musste ihre Gedanken ordnen, was in geschlossenen Räumen nicht so recht klappte. Die Spurensuche war bei der Arbeit, die Kriminaltechnik ebenfalls, und auch der Computer beim BKA lief auf Hochtouren. Aber sie selbst konnte nichts tun, gar nichts.
Kalte Tropfen wehten ihr ins Gesicht, begleitet vom kühlen Herbstwind, der jetzt noch stärker als vorhin den Geruch von Schnee mit sich führte.
Er hat Ihnen die CD geschickt.
Friedrich hatte ihr die brutale Wahrheit ins Gesicht gesagt. Er hatte das, was sie zu verschließen versucht hatte, mit blitzendem Skalpell wieder aufgeschnitten. Eiskalt, gnadenlos. Ein bisschen war Friedrich selbst wie die Ungeheuer, die er jagte.
Aber verdammt – er hatte recht. Der Umschlag war für sie gewesen. Irgendwas war zwischen ihr und dem Mörder.
Deshalb hatte Clara die SIG Sauer in der Tasche. Winterfeld hatte anfangs darauf bestanden, dass sie sofort unter Polizeischutz gestellt würde, aber Clara wollte allein sein, um zu verarbeiten, nachzudenken, irgendwie weiterzukommen. Sie konnte niemanden um sich gebrauchen. Die Waffe musste vorerst reichen.
Das Video war grauenhaft gewesen, das Furchtbarste, was Clara je gesehen hatte. Doch die Angst, das Zittern, das Erbrechen, das
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