Final Cut - Etzold, V: Final Cut
Tür stand.
Auf dem Sekretär stand ein Laptop. An der Wand über dem Sekretär sah sie einen Kalender. Einer dieser Kalender zum Abreißen.
Und wieder traf ein brutaler Tritt sie in den Magen.
Das Datum auf dem Blatt war der 10. März.
24.
Clara saß auf der Rückbank des schwarzen Mercedes, Winterfeld am Steuer. MacDeath hatte neben ihm auf dem Beifahrersitz Platz genommen. Clara hatte ein Notizbuch hervorgeholt und kritzelte ein paar Diagramme und Schaubilder auf eine Seite.
»Meint ihr, die Leiche liegt dort seit dem zehnten März?«, fragte sie. »Seit mehr als einem halben Jahr?«
»Nicht unwahrscheinlich«, sagte Winterfeld, während er den Wagen am Hermannsplatz vorbeisteuerte, wobei ihnen beinahe ein paar alkoholisierte Junkies vors Auto liefen. »Um die sollte sich unser Killer mal kümmern«, schimpfte er, während er scharf abbremste, und wandte sich dann wieder Clara zu. »Vom ersten Eindruck her sind mehr als sechs Monate nicht unwahrscheinlich. Was meinen Sie?« Er wandte sich an MacDeath. Der nickte. »Näheres müssen die Jungs mit den Gummihandschuhen rausfinden«, sagte Winterfeld und wischte mit der Hand über die beschlagene Scheibe. »Einige der Käfer sind schon unterwegs nach Moabit. Die Leiche kommt dann gleich hinterher, wenn die Spurensuche fertig ist.« Er nestelte an der Heizung des Wagens herum, während er vor einer weiteren Ampel abbremste.
Die »Jungs mit den Gummihandschuhen« waren die Rechtsmediziner in Moabit, die nachher die Obduktion von Jasmin Peters’ Leiche vornehmen würden. Dann würde man auch endgültig wissen, ob es sich tatsächlich um Jasmin Peters handelte, doch die Wahrscheinlichkeit lag jetzt schon bei nahezu hundert Prozent. War die Tote jemand anders, würde es bedeuten, dass eine fremde Leiche mehr als sechs Monate lang in der Wohnung gelegen hatte, ohne dass es Jasmin Peters aufgefallen wäre.
Dermaßen unwahrscheinlich, dass es unmöglich ist, dachte Clara.
Den Laptop auf dem Sekretär hatte die Kriminaltechnik ebenfalls mitgenommen. Im Revier würden sie zuerst das Passwort knacken und die gesamte Festplatte untersuchen, Bilder, Dateien, Briefe und E-Mails checken, überprüfen, mit wem Jasmin Peters zuletzt wann in Kontakt gestanden hatte, ob sie Mitglied bei sozialen Netzwerken war – alles, was Hinweise darauf geben konnte, wer der Täter war, ob sie ihn vorher gekannt hatte oder ob er so plötzlich in ihr Leben getreten war wie die grauenvolle CD von gestern Abend in Claras Leben.
»Was eine Vergewaltigung angeht«, sagte Friedrich, »bin ich mir nicht sicher. Und ich fürchte, bei dem Zustand der Leiche kann man nicht mehr allzu viel herausfinden.« Er wandte sich an Winterfeld. »Was meinen Sie?«
»Ich bin kein Rechtsmediziner«, sagte Winterfeld. »Aber bei der ausgesprochen brutalen Vorgehensweise des Killers ist natürlich alles möglich.«
»Oder auch nicht«, sagte Friedrich und drehte sich zu Clara um. »Es schien mir fast, als wäre der Höhepunkt für ihn die filmische Inszenierung des Mordes. Das verträgt sich nicht so ganz mit einer Vergewaltigung, wo es andere Höhepunkte gibt. Vor allem hat er mit den Worten ›Jasmin Peters dreizehn‹ der Polizei dabei geholfen, die Leiche so schnell wie möglich zu finden. So als wollte er unbedingt, dass wir eher heute als morgen in die Wohnung kommen. Was meinen Sie?«
»Sie hatten es ja so schön formuliert«, erwiderte Clara und hasste ihn wieder für diese kristallklare und zugleich unerfreuliche Wahrheit. »Er hat mir die CD geschickt. Vielleicht interessiert es ihn, wie ich darüber denke ... wie ich darauf reagiere.«
»Und wie reagieren Sie?«
Sie lächelte ironisch. »Andere kriegen Pralinen oder Blumen von Fleurop. Frau Vidalis kriegt von unbekannten Verehrern mit Lippenstift beschmierte CDs, auf denen Morde zu sehen sind.« Sie klappte ihr Notizbuch zu. »Und weil wir Polizisten offenbar ein bisschen doof sind, unterstützt uns der hilfsbereite Killer, indem er uns Nachnamen und Hausnummer seines Opfers nennt. Nein, im Ernst, ich reagiere ausgesprochen verstört. Und die Tatsache, dass er Jasmin sagen lässt, sie sei nicht die Erste und nicht die Letzte, zeigt doch, dass es sich um einen Serienmörder handelt. Der hört so schnell nicht auf. Und falls er schon andere Frauen getötet hat – hat er diese Morde auch gefilmt? Und wenn ja, an wen hat er das Material geschickt? Und reicht ihm das als Kick? Und falls er es nur an mich geschickt hat – und nur bei diesem Mord –,
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