Final Cut - Etzold, V: Final Cut
hielt, trug eine schwarze Maske und eine Schweißerbrille. Das augenlose Gesicht starrte Julia ausdruckslos an.
Das Schlimmste aber war die Heckenschere, die der schwarze Mann an beiden Vorderpfoten der Katze angesetzt hatte.
»Ein Mucks«, sagte er, »und die Pfoten sind ab.«
Princess , dachte Julia und schauderte bei dem Bild, das vor ihrem inneren Auge erschien: zwei Vorderpfoten, die nur noch blutige Stümpfe waren. Nein! Der Schrei blieb Julia in der Kehle stecken, zwischen Rachen und Kehlkopf, wie ein Stein, den man weder schlucken noch herauswürgen kann. Sie merkte, wie ihr Tränen in die Augen schossen und ihr Magen sich so heftig verkrampfte, dass eine Explosion des Schmerzes durch ihren Körper raste. Der bittere Geschmack von Galle war in ihrem Mund.
»Lass mich rein«, sagte die gesichtslose Erscheinung.
Julia wich zurück, gab keinen Ton von sich, sah nur die Heckenschere, die schwarzen Handschuhe und die Pfoten der Katze.
Der Fremde schloss die Tür hinter sich und ließ das Tier fallen. Instinktiv bückte sich Julia, um Princess aufzufangen. Da traf sie der Ellbogen des Fremden mit schrecklicher Wucht an der Schläfe. Julia sank bewusstlos zu Boden.
Der Fremde packte die Katze und rammte ihr eine Spritze in den Rücken.
Ein klägliches Miauen, dann war Stille.
Aber das hörte Julia schon nicht mehr.
Der Mann schaute kurz auf den leblosen Körper der jungen Frau, der zu seinen Füßen lag. Dann blickte er ins Wohnzimmer, zum Computer. Er nahm ein Post-it, klebte es auf die Webcam des Laptops und zog sämtliche Kabel, die nach Mikrofonanschlüssen aussahen, aus dem Computer. Man wusste nie, wer wie online war. Und er wollte ungestört sein. Filmen würde er früh genug.
Sein Blick blieb kurz auf der Facebook-Seite haften. Das letzte Posting von Julia. Meine Katze ist wieder da.
Er schaute zurück in den Flur.
O ja.
Dann sah er den Schlüssel auf der Kommode. Jetzt musste er schnell sein. Rausgehen, die Sachen, die er brauchte, aus seinem Auto holen und wieder reinkommen. Und zwar so, dass niemand ihn sah.
Er gab dem Mädchen, das am Boden lag, ebenfalls eine Spritze und verschwand wie ein Schatten in der Nacht. Nach drei Minuten war er zurück in der Wohnung, mit zwei großen schwarzen Sporttaschen.
Wieder schaute er auf das bewusstlose Mädchen.
Dann begann er mit seinen Vorbereitungen.
21.
MacDeath wies auf den Stuhl vor seinem großen Eichenschreibtisch, auf dem Clara schon bei ihrem ersten Gespräch gesessen hatte, nahm mit einer schwungvollen Bewegung hinter dem Schreibtisch Platz und hackte irgendetwas in den Computer. Der Drucker surrte und spuckte mehrere Seiten aus.
»Was die archaische Amygdala nicht mag, mögen auch wir nicht, und alle Appelle an Toleranz und Vernunft verschwinden wie ein Gesicht im Sand«, sagte MacDeath, untermalt vom Surren des Druckers, während er Clara über seine Brille hinweg wie der Psychiater musterte, der er ja auch war. »Das Außen ist das, vor dem wir fliehen oder das wir töten wollen.« Er senkte die Stimme. »Das Andere. Das Fremde. Das Böse.« Mit diesen Worten zog er etwa zehn Seiten Papier aus dem Drucker, heftete sie zusammen und schob das Gutachten Clara über den Tisch hinweg zu.
»Was tut dieser Mann?«, fragte MacDeath, während Clara die Seiten überflog.
»Er tötet Frauen.«
»Und wie viele hat er bereits getötet?«
»Wir wissen nur von einer, doch er behauptet, es wären mehr gewesen.«
»Ich fürchte, er hat recht«, sagte MacDeath. »Warum tötet er gerade Frauen?«
»Serienkiller töten gemäß ihrer sexuellen Präferenz.«
MacDeath nickte. »Hat er die Frauen vergewaltigt?«
»Wie es aussieht, nein.«
MacDeath lehnte sich zurück. »Wie ich bereits sagte und wie Sie es unter Absatz zwei finden, sind nicht-sexuell motivierte Morde von Serienkillern ein pathopsychologisch ungewöhnliches Phänomen. Die Befriedigung, die der Killer durch das Töten erlangt, ist nicht primär sexuell motiviert.«
Clara las den Text, während sie zuhörte. »Sie schreiben hier von Opferung«, sagte sie. »Und von Katharsis. Was meinen Sie damit?«
»Kommen wir zunächst zur Opferung.« MacDeath beugte sich vor. »Und damit zum Unheimlichen. Nehmen wir einmal an, der Täter hat tatsächlich eine Leiche im Keller. Nehmen wir weiter an, er hat diese Person im Affekt getötet. Und nehmen wir an, er will diesen Mord auf irgendeine Weise ungeschehen machen.«
»Wie könnte er einen Mord ungeschehen machen?«
»Erinnern Sie sich noch,
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