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Final Cut - Etzold, V: Final Cut

Final Cut - Etzold, V: Final Cut

Titel: Final Cut - Etzold, V: Final Cut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Etzold
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Tief, unnatürlich, irgendwie verzerrt und direkt in ihrem Kopf.
    »Wir machen einen Deal«, sagte der Mann und erhob sich. Jetzt wusste Julia, warum die Stimme des Mannes so unnatürlich verzerrt und dennoch so deutlich in ihrem Kopf erklang und warum sie nichts anderes hörte als diese Stimme, als wäre der Mann ein eifersüchtiger Gott, der keine anderen Geräusche neben sich duldete: Der Fremde sprach in ein Mikrofon, das seine Stimme verzerrte und die Worte in die Kopfhörer übertrug.
    »Schau her«, sagte er.
    Auf dem Tisch neben dem Laptop stand eine durchsichtige Glasflasche. Julias Blicke folgten zaudernd den Händen des Mannes, als er ein Taschentuch ergriff und es in die Flasche warf. Binnen Sekunden zerfiel das Taschentuch in winzige Stücke, bis es völlig verschwunden war.
    »Hochkonzentrierte Schwefelsäure«, sagte der Fremde.
    Julia kam es vor, als würde er sie aufmerksam mustern, auch wenn sie hinter der bizarren Brille, die er trug, keine Augen sah. Keine Augen und keine Seele.
    »Du wirst dich fragen, warum ich dir das zeige.« Der Mann sprach weiter, ohne irgendeine Regung oder Geste. »Nun, ich möchte etwas klarstellen. Du hast zwei Möglichkeiten.« Er schaute zu der Flasche.
    »Möglichkeit eins: Ich nehme dir den Knebel ab, und du schreist nicht und tust, was ich sage. Dann werden wir beide gut miteinander klarkommen.« Sein Blick fixierte sie wieder. »Verstanden?«
    Sie nickte und zitterte gleichzeitig, während ihr der Schweiß in die Augen lief.
    Der Fremde fuhr fort: »Möglichkeit zwei: Ich nehme dir den Knebel ab, und du schreist. Und dann werde ich dieses Zeug«, er tippte mit dem Finger gegen die Flasche mit der Schwefelsäure, »über dich kippen und deinen Kopf in einen blutigen, weißlich roten, blasenwerfenden Kegel verwandeln.« Er wandte sich ihr wieder zu. »Haben wir einen Deal?«
    Sie nickte voller Panik.
    »Wir haben einen Deal«, sagte der Mann an ihrer Stelle und löste das Klebeband.

23.
    Er stand auf der Lichtung in dem großen Wald, während die tief hängenden Wolken wie ein graues Leichentuch den Himmel bedeckten und sturmgepeitschte Wolkenfetzen über das Firmament jagten.
    Der zunehmende Mond lugte nur hin und wieder zwischen den Wolken hervor, während der Regen vom Himmel fiel und die Tropfen an seinem Gesicht herunterliefen. Er stand dort zwischen den Bäumen, regungslos, wie erstarrt, als wäre er einer von ihnen.
    Vor seinem inneren Auge sah er das Gesicht von Elisabeth. Er sah sie als lebendiges, wunderschönes Mädchen, und er sah sie als Leiche mit grotesk abgeknicktem Kopf und leeren, weit aufgerissenen Augen. Manchmal sah er beide Gesichter in einem. Es waren diese Gesichter, die auch in seinen Albträumen erschienen. Er wusste, er würde den Verstand verlieren, wenn er nichts unternahm. Oder war er schon wahnsinnig?
    Er hatte nur zwei Möglichkeiten.
    Sterben, um Ruhe zu finden.
    Oder leben, um wiedergutzumachen, was er getan hatte.
    Als er nach einer Stunde völlig durchnässt und durchgefroren den Heimweg antrat, wusste er, was er tun würde.
***
    Vladimir besaß noch die schwarze Plastikfolie, in die er damals Tobias’ Leiche eingewickelt hatte. Sie wurde nicht mehr gebraucht, denn Tobias verweste mittlerweile, in hundert Stücke zerlegt, in der Kanalisation. Also konnte die schwarze Folie wieder benutzt werden.
    Vladimir wickelte Elisabeth hinein und verfrachtete ihre Leiche auf den Boden der Kühltruhe. Zum Glück war sie kleiner und leichter als Tobias.
    Dann begann Vladimir noch in der Nacht mit einigen Vorbereitungen. Er stahl einen der Zweitschlüssel zum Heim aus dem Büro des Hausmeisters. Dann schwang er sich auf ein Fahrrad und fuhr zum Haus der alten Heimleiterin, die inzwischen pensioniert war und ihre Rente auf Mallorca ausgab, sodass sie sich nur selten in Deutschland aufhielt. Das Haus war etwa fünf Kilometer vom Heim entfernt. Und es stand für ein paar Wochen leer. Er würde es brauchen. Für kurze Zeit. Und dann würde er verschwinden. Und irgendwann wiederkommen. Denn das Haus war wie geschaffen für ihn und seine Mission.
    Seine heilige Mission.
    Es war bereits drei Uhr morgens, als er zurück im Heim war. Er holte sich eine der roten Regenjacken und zwei Fahrräder und stellte sie am Ausgang bereit.
    Als Letztes schrieb er einen kurzen Abschiedsbrief.
    Ich habe alles verloren, was ich hatte. Meine Eltern, meine Schwester, mein Leben. Darum wird mein Leben jetzt mich verlieren.
    Vladimir Schwarz.
    Den Brief legte er in den

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