Finaler Rettungskuss: Baltasar Matzbachs neunter Fall (German Edition)
Kneipe hing ein Schild:
Bis Freitag wegen Nichtsnutzigkeit geschlossen
. Ich schwankte zwischen Erheiterung und Mißmut. Donnerstag; zuletzt war ich am Samstag im Lokal gewesen, um mich vom Golfclub zu erholen. Es war dickste Ferienzeit, vermutlich lohnte sich der Betrieb nicht, weil alle, die nicht unbedingt hier sein mußten, sich in der Karibik, auf den Kanaren, Mallorca oder Alpenwiesen aufhielten. Ein paar Tage Nichtsnutzigkeit wollte ich Helga und Mick durchaus gönnen; aber mußte es unbedingt heute sein? Und hätten sie nicht etwas sagen können? Aber vielleicht hatten sie ja am Montag plötzlich beschlossen, einfach so aufzubrechen.
Ich ging um das Lokal herum auf die zugängliche Terrasse, setzte mich auf eine der verwitterten Bänke und drehte eine Zigarette. Dabei betrachtete ich den reißenden Strom, der hier etwa vier Meter breit ist. Der Radwanderweg macht einen Bogen um die Kneipe, die schon am Ufer stand, als er angelegt wurde. Über dem Fluß war die Luft kaum frischer, trotz des Westwinds. Ich mußte mein Feuerzeug gründlich abschirmen, um überhaupt rauchen zu können. Dann fragte ich mich, ob der schwüle Wind die Mücken vom Wasser vertrieben hatte, wie lang sie wohl brauchen würden, um mich zu entdecken, und welche Bedeutung dieser kleine Wasserlauf in früheren Jahrhunderten als Transportverbindung gehabt haben mochte.
Auf dem anderen Ufer ließen Weiden ihre Trauer ins Wasser baumeln. Ich wußte, daß irgendwo dahinter ein Feldweg endete, der zum Südende des Orts führte, und von dort war der Wald zu erreichen, in dem Baltasar seinen Kotten behauste. Beim Gedanken daran mußte ich grinsen. Dann fragte ich mich, ob Mick und Helga nicht auf dem anderen Ufer, jenseits dessen irgendwo das Kaff lag, bessere Umsätze hätten machen können. Aber die Kneipe gab es ja nicht nur länger als den Radweg, sie hatte auch schon da gestanden, ehe die Häuser gebaut wurden. Die meisten Gäste kamen sowieso weiter von Osten, Ausflügler aus Köln und Bonn oder aus den Orten des Vorgebirges. Wer aus unserem bedeutenden Kaff zu Helga und Mick wollte, mußte weiter flußabwärts die Brücke nehmen. Wie ich dies eben getan hatte.
Kein Matzbach zu sehen. Entweder hatte er sich sehr gut versteckt, oder ihm war etwas dazwischengekommen. Wie offenbar auch Oswin; meine Uhr zeigte viertel vor neun, und als ich gerade überlegte, ob ich das Warten einstellen sollte, hörte ich Schritte.
Oswin blieb neben der Terrasse stehen. Er nickte mir zu, schaute über die Erft, flußauf, flußab, als ob er etwas suchte. »Scheint sauber zu sein«, sagte er. »Wieso bist du …« Er brach ab, fuhr herum, sagte »Scheiße« und zog eine Pistole aus der Jackentasche.
Von der Landstraße her näherte sich hörbar ein Auto, und so, wie es sich anhörte, mußte es über die Lehmpiste rasen.
»Hau ab«, sagte er. »Mich haben sie schon gesehen, aber du …«
Er lief weg vom Haus, flußaufwärts, wo ein paar Büsche zwischen Radweg und Ufer standen. Ich fluchte lautlos vor mich hin. Ich hatte keine Waffe. Und keine Ahnung, was das hier werden sollte, wer warum gegen wen etwas hatte. Ich steckte das Tabakpäckchen in die Brusttasche und sprang ins Wasser, das nicht sehr tief war, duckte mich bis zur Nase, machte unter Wasser zwei oder drei Schwimmzüge. Dann befand ich mich hinter dem dichten Vorhang aus Trauerweidenzweigen, kroch durch Schlick ans Ufer und versuchte, etwas von dem zu sehen, was auf der anderen Seite geschah.
Oswin kauerte hinter einem Baum neben dem Radweg. Ich hörte den Motor des Wagens, aber er war jetzt fast leise, im Leerlauf. Oswin schoß auf etwas. Jemand stieß einen Schrei aus, vielleicht einen Warnruf. Ich sah zwei Männer, die gebückt im Zickzack zur Erft liefen, einer näher an der Kneipe, der andere jenseits des Radwegs. Sie hatten kleine Handwaffen, aus denen sie im Laufen feuerten. Oswin schoß ebenfalls; er bewegte sich ein wenig nach rechts, um den Mann zu erwischen, der jenseits des Radwegs nicht stürzte, sondern eher zu Boden glitt.
Dann erfolgte ein langer Feuerstoß. Offenbar war mindestens ein dritter Mann in der Nähe des Wagens geblieben, und das, was er zum Schießen benutzte, klang wie etwas, was ich oft genug gehört hatte: eine Kalaschnikow. Ich sah Rinde splittern und aufspritzen, wo Geschosse den Baum trafen.
Oswin zuckte zusammen und warf sich zur anderen Seite, ins Schußfeld des Mannes, der inzwischen neben der Kneipenterrasse kauerte. Die Pistole bellte zwei-, dreimal; Oswin
Weitere Kostenlose Bücher