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Finaler Rettungskuss: Baltasar Matzbachs neunter Fall (German Edition)

Finaler Rettungskuss: Baltasar Matzbachs neunter Fall (German Edition)

Titel: Finaler Rettungskuss: Baltasar Matzbachs neunter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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ob sie mit offenen Augen schliefe. Als ich näherkam, sah ich, daß sie den Mund bewegte, aber es war nichts zu hören.
    Langsam ging ich zu ihr. Eigentlich mußte sie mich gesehen haben, aber noch immer reagierte sie nicht. Sie saß da, starrte in die Luft, bewegte die Lippen. Die Hände lagen mit aufwärts gedrehten Handflächen auf ihren Oberschenkeln. Sie trug zerschlissene Sportschuhe, Jeans und ein dunkles Sweatshirt. Das schulterlange, rote Haar war wirr, wie zerwühlt, und aus dem Staub, der es bedeckte, lugten hier und da Blätter und kleine Zweige. Auch Gesicht und Kleidung waren überall von Staub und Erd- oder Mörtelbrocken beschmutzt, so daß ich nur einzelne Buchstaben entziffern konnte und nicht wußte, wofür das Sweatshirt warb oder welche wesentliche Mitteilung es der Welt machte.
    Ich hatte in Afghanistan genug Leute mit Schock gesehen. Die Rothaarige war offenbar in der Nähe der Explosion gewesen, vielleicht verwirrt, betäubt, taub, sprachlos. Möglicherweise sogar ohne Erinnerung an das Vorgefallene. Sie mußte irgendwie hinter den Gärten übers Feld geirrt sein. Der Garten des Hauses, das ich hütete, hatte zu den Feldern hin einen überwucherten Jägerzaun und ein immer nur angelehntes Törchen – Zuflucht für Gehetzte.
    Ich kniete neben ihr nieder und versuchte, mich an halb vergessene, halb verdrängte Anweisungen zu erinnern.
    Ehe ich mich wirklich auf etwas besonnen hatte, richtete sie plötzlich den Blick auf mich, biß sich auf die Unterlippe, öffnete den Mund zu einem schwachen Lächeln und sagte: »Rrrrr. Ah.«
    »Können Sie mich hören?«
    Sie sah mich an, aber ich war nicht sicher, ob die grünen Augen mich wahrnahmen. Ich streckte die Hand aus. Sie senkte den Blick, ließ ihn meinen Arm hinabrutschen, machte wieder »Rrrr« und hob die Linke. Ich nahm sie, zuerst ganz sanft, dann ein wenig fester, stand auf und zog sie vorsichtig hoch. Als sie stand, schloß sie die Augen, schwankte, lehnte sich an mich und begann lautlos zu weinen.
    Mit kleinen Schritten gelangten wir zur Terrasse. Dort blieb sie stehen, und ich hatte das deutliche Gefühl, daß sie – oder etwas in ihr – sich fragte, was es mit den Stufen auf sich hatte und ob man diese durch alberne Bewegungen der Beine bewältigen konnte.
    »Brauchen Sie Hilfe?« sagte Matzbach. Er war aufgestanden und lehnte mit dem Gesäß am Küchentisch.
    »Ah, geht schon. Moment.«
    Eine Minute später saß sie auf einem Stuhl. Sie hatte die Hände auf den Tisch gelegt, krümmte die Finger, streckte sie aus, krümmte sie abermals. Es war nicht der Versuch, eine Faust zu machen, sondern eher eine Art Inspektion. Als wären die Finger fremde Geschöpfe, Parasiten, mit deren Eigenarten sie sich vertraut machen mußte.
    »Küche«, sagte sie. »Rrrrr.«
    »Passen Sie auf sie auf?« sagte ich. »Ich hole Wasser und einen Waschlappen.«
    »Wasser. Rrrr.«
    Als ich mit einer Schüssel, warmem Wasser und dem Lappen zurückkam, sagte Matzbach gerade: »Rrrr – ah. Ist das ein Name?«
    Sie lächelte ihn an, ein wenig verloren, und schien zu nicken, falls es nicht nur ein Zucken oder Zittern war.
    Matzbach streichelte ihren Arm. »Radegunde«, sagte er.
    Sie lächelte, hob den Blick zu mir, schaute dann ihn an.
    »Roberta.«
    Sie lächelte wieder, leckte sich die Lippen und streckte die Hand nach Matzbachs Wasserglas aus.
    Er schob es ihr hin, und als sie trank, sagte er: »Rebekka. Rollmops. Roswitha. Rita. Ramona. Rasenmäher. Rildegard.«
    Sie setzte das Glas ab, lächelte und schüttelte den Kopf. »Sie sind verrückt«, sagte sie verblüffend klar. »Renate.«
    »Ich heiße nicht Renate. Matzbach, wenn’s beliebt. Oder Baltasar, aber der Vorname ist eher ungefüge.«
    »Unfug, ungefüge. Baltasar.« Sie hustete. »Tasar. Bal.«
    »Soll ich Ihnen helfen, oder können Sie das allein?« Ich schob ihr die Schüssel hin und wedelte mit dem Lappen.
    Sie nahm das Stoffstück, tauchte es ins Wasser, wrang es aber nicht aus, sondern klatschte es sich förmlich ins Gesicht. Dann knurrte sie etwas, bewegte beide Arme, hob die Hände zum Gesicht und versuchte, sich beidhändig zu waschen.
    »Die Koordination wird immer besser«, sagte Matzbach. »Ich bin sicher, sie hat sich schon mal gewaschen, wenn’s auch länger her ist.«
    Die Frau lachte halblaut, tauchte den Waschlappen wieder in die Schüssel, wrang ihn diesmal aus und beendete die Gesichtpflege. »Danke«, sagte sie dann.
    »Können Sie uns hören?«
    »Es rauscht, aber – ja, ich

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