Finaler Rettungskuss: Baltasar Matzbachs neunter Fall (German Edition)
für den freundlichen Empfang und die Auskünfte. Wo geht’s lang?«
»Kommen Sie«, sagte ich; »ich bring Sie raus.«
Als ich die Haustür geöffnet hatte, legte sie mir einen Finger auf den Unterarm und sagte leise: »Kommen Sie noch ‘ne Sekunde mit raus? Eine Bitte …«
Ich folgte ihr hinaus auf den Plattenweg zum Törchen.
Mit einem Blick zur Tür sagte sie, nicht mehr ganz so leise: »Also, die Frau … Können Sie bitte dafür sorgen, daß sie noch ein Weilchen bei Ihnen bleibt?«
»Wollen Sie uns verkuppeln?«
Sie lachte. »Nee, aber ich finde, die sollte kurz untersucht werden. Ich schicke gleich ‘nen Kollegen mit ‘nem Arzt vorbei.«
»Okay, kein Problem. Es sei denn, sie will weg; mit Gewalt kann ich sie ja nicht festhalten.«
»Versuchen Sie’s.« Sie nickte mir zu, ging hinaus, schloß das Törchen hinter sich und wandte sich nach links, zurück zum Schauplatz. Ich nahm an, daß dort neben ihren Kollegen, wahrscheinlich Feuerwehrleuten und anderen, auch Ärzte waren. Für alle Fälle, falls man in den Trümmern jemanden fand.
Als ich wieder in die Küche kam, hatte sich Coralie Schäfer von weiteren Staubmengen befreit. Sie blickte auf den Boden, sah mich dann an und sagte: »Tut mir leid; ich mach das gleich weg. Nachher. Krieg ich noch ‘nen Kaffee?«
Ich goß ihr nach.
Matzbach legte die Hand auf seinen Becher. »Ich bitte nicht«, sagte er. »Aber wissen Sie was? Zum ersten Mal seit langem hab ich einen klaren Kopf.«
»Koffeinjunkie?«
Er zuckte mit den Schultern. »Klar doch. Und diese netten Pastillen, die der Doktor mir ersatzweise empfohlen hat, bringen’s nicht. Nicht ganz jedenfalls.«
Tatsächlich wirkte er erheblich frischer als in dem Moment, da ich ihn ins Haus gebracht hatte.
»Freut mich; wenigstens einer, dem’s besser geht.«
»Mir geht’s auch besser.« Coralie klopfte weiteren Staub aus den Seiten ihres Sweatshirts. »Danke für den Unterschlupf, überhaupt.«
»Wann kommt die Dame von der Polizei mit dem Arzt?« sagte Matzbach.
»Wieso …«
Er winkte ab. »Ist doch klar. Erstens allgemeine Fürsorge, wie? Versorgung von Traumatisierten nach einer Katastrophe. Zweitens ist sie eine potentielle Zeugin, auch wenn sie sich im Moment an nichts erinnern kann.«
»Reden Sie von mir?« Coralie preßte die Lippen zu einem Strich. »Meinen Sie, da kommt noch was?«
Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Keine Sorge. Die tun Ihnen nichts. Ich nehme an, die wollen nur dafür sorgen, daß Sie nicht mit irgendwelchen bleibenden Schäden rumlaufen und nach ein paar Schritten umfallen.«
»Rums, da fiel das Frollein um«, sagte Matzbach, »und alles voll Petroleum. Linoleum. Egal. Sie sollten sich aber gut überlegen, woran Sie sich erinnern wollen.«
Sie nickte kaum merklich. »Meinen Sie, ich hab was mit der Sache zu tun?«
Matzbach seufzte. »Sie haben uns was von einem Toten erzählt. Einem gewissen oder ungewissen Oswin, der früher mal ein netter Mann war, wie Sie sagen. Woher wissen Sie, daß er tot unter den Trümmern liegt?«
Sie zögerte. »Ich weiß es eben.« Dann schüttelte sie den Kopf. »Ich weiß aber nicht, woher ich das weiß. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht mal, ob ich es wirklich weiß. Verstehen Sie das?«
Ich rollte mir die nächste Zigarette und dann gleich noch ein paar mehr auf Vorrat. Beim Drehen kann man gut denken – ich jedenfalls, und ich hatte reichlich Anlaß zum Grübeln.
Eine Renate namens Coralie, die staubbedeckt und mit Erinnerungslücken durch Gärten wankt. Ein vom Fleisch gefallener Matzbach, der in Bonn wohnt und behauptet, er sei einfach so in dieses verlassene Kaff an der Erft gefahren, um hier spazierenzugehen. Und ich, Haussitter ohne festen Wohnsitz. Wenn ich Polizist wäre, dachte ich, würde ich uns alle drei ausquetschen. Ich wußte, daß ich nicht unbedingt gelogen, aber einiges verschwiegen hatte. Ich war ziemlich sicher, daß Matzbach gründlich gelogen und außerdem einiges verschwiegen hatte. Und was Coralie Schäfer anging, war ich überzeugt davon, daß sie sich inzwischen an mehr erinnerte. Und daß sie es weder uns noch gar der Polizei erzählen würde.
»Nette Runde«, sagte ich. »Lauter Märchenerzähler.«
»Und die Polizistin weiß bestimmt auch mehr, als sie uns gesagt hat«, knurrte Matzbach.
»Hören Sie, Herr Matzbach …«
Er hob die Hand. »Wir müssen uns ja nicht gleich duzen oder sonstige Intimitäten begehen, Coralie«, sagte er. »Aber lassen wir doch das mit den gnädigen
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