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Finkenmoor

Finkenmoor

Titel: Finkenmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myriane Angelowski
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Dorit mit einem komischen Gefühl durchs Treppenhaus.
    Norma verstand das Problem.
    Ihre Mutter war bekannt wie ein bunter Hund, und dadurch geriet auch Norma hin und wieder ins Blickfeld der Einheimischen. Viele Leute kannten ihr Schicksal und wussten, dass sie keine Kinder hatte. Aber da sie niemals angesprochen wurde, geschweige denn negative Erfahrungen machte, wurde Norma selbstbewusster.
    Zudem bot ihr jetziger Wohnort mehr Privatsphäre. Anders als in Sahlenburg konnte Norma in Cuxhaven-Zentrum vor die Tür gehen, ohne gleich einer Bekannten zu begegnen. Wirklich glücklich war sie mit der Lage ihres neuen Zuhauses allerdings nicht. Eine Wohnung an der viel befahrenen Umgehungsstraße, die auch als Anschluss an die A 27 diente, war kein Ort, an dem man mit gutem Gewissen wohnen konnte, wenn vier Kinder im Spiel waren. Deshalb dachte Norma darüber nach, noch einmal umzuziehen.

Cuxhaven, Heinrich-Grube-Weg
    Behutsam verschloss Ronny am nächsten Morgen seine Zimmertür, schob den Schlüssel in die Hosentasche und stand mit vier großen Schritten am Fenster. Um diese Uhrzeit war die Straße zwischen der Stadt und Duhnen stark befahren. Autogeräusche störten Ronny, er wollte sich durch nichts ablenken lassen und schloss deshalb das gekippte Fenster.
    Wenn Kimberly sich heute pünktlich blicken ließ, blieben ihm noch zwei Minuten. Mit zittrigen Händen zog er den Vorhang zur Seite und spähte zum Nachbarhaus. Das leise Ticken des Weckers, der auf dem Nachttisch stand, drang an sein Ohr. Jede Zelle seines Körpers war angespannt.
    Kimberly. Er flüsterte ihren Namen im Rhythmus des Sekundenzeigers. Ronny hoffte immer noch, dass die Sache mit der Verlobung eine Erfindung seines Vaters war und die Anzeige in der Zeitung ein Versehen. Denn wenn nicht, kam er sich ziemlich verarscht vor. Kimberly flirtete in seinen Augen schamlos mit ihm weiter, starrte hier zu ihm herauf und warf ihm Küsse zu. Fast jeden Tag. Entweder spielte sie mit ihm, oder sie wollte ihm etwas mitteilen, etwas, das es zu entschlüsseln galt, etwas, das sie nonverbal ausdrückte. Rette mich. Ich will dich. Kämpfe um mich. In diese Richtung gingen ihre stummen Schreie, ganz eindeutig.
    Sieben Uhr. Auf die Minute schwang die Haustür auf. Da war sie. Endlich. Für einen Augenblick vergaß Ronny die Welt.
    Kimberly trug Minirock, dazu eine weiße Bluse. Sie tanzte die wenigen Stufen der Treppe hinab und stolzierte auf diesen atemberaubenden roten Pumps, die er so liebte, in Richtung Carport. Ihr Haar wehte im Wind. In der linken Hand hielt sie lässig die Aktentasche und ihren dünnen Trenchcoat. Sie ging um den Peugeot herum zur Fahrerseite und öffnete die Tür.
    Jetzt kam der Moment, der Augenblick, um den es ging. Würde sie zu ihm aufsehen? Ihn wortlos, aber unmissverständlich um Rettung anflehen?
    Nein. Diesmal nicht.
    Kimberly warf weder den Kopf in den Nacken, um zu ihm hinaufzusehen, noch lächelte oder winkte sie. Ronnys Herz krampfte. Trotzdem klopfte er gegen die Scheibe. Erst zaghaft, dann fester. Schon schoss der silberne Sportwagen pfeilschnell auf die Straße.
    Ronny ließ sich aufs Bett fallen. Sofort umgab ihn diese schreckliche Leere, ein Gefühl von Dunkelheit. Wie konnte sie so grausam sein? Und diese Pumps. Warum trug sie solche Schuhe zur Arbeit?
    »Junge!« Seine Mutter rief zum Frühstück.
    Er ballte die Fäuste, richtete sich auf und wischte sauren Speichel vom Kinn.
    »Ich rufe dich nicht noch einmal, Junge!«
    Er trat mehrmals gegen die Wand, schlug mit den Fäusten auf die Matratze, ließ seine Wut raus, so gut er konnte. Ronny wollte in die Blockhütte, am liebsten sofort. Frühstücken und dann unter einem Vorwand zum Wernerwald, die Kleine war reif. Der Gedanke hatte eine beruhigende Wirkung. Er atmete durch, kämmte sich kurz durch die Haare, schloss seine Zimmertür geräuschlos auf und schritt die Treppe zum Frühstück hinab.
    Die »Cuxhavener Nachrichten« lag auf der Küchenbank. Der Aufmacher war ein Foto des Mädchens. Ronny erkannte die Kleine sofort. »WO IST MAXI?« Er hüstelte, setzte sich und bestrich eine Toastscheibe mit Butter.
    »Das Kind wird seit vorgestern vermisst«, sagte seine Mutter mit Blick auf die Zeitung. »Sie wohnt hier ganz in der Nähe. Ihr Vater kann einem wirklich leidtun, er hat schon seine Frau verloren.«
    Ronny horchte auf. Aha, die Kleine hatte keine Mami mehr. Vielleicht war sie deshalb so bockig. Freu dich doch, du dummes Kind. Die eigene Mami unter der Erde ist doch

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