Finkenmoor
sich dabei, dass sie Claires Fertigstellung hinauszögerte, aber schließlich war die letzte Haarsträhne gesetzt. Das regelrecht eingepflanzte weizenblonde Haar ließ ihre Süße noch echter, natürlicher wirken als Jason. Und Norma nahm sich vor, ihrem Jungen irgendwann die gleiche Behandlung zukommen zu lassen.
Schließlich füllte sie auch Claires Körper mit Granulatsäckchen, gab aber auf das Füllmaterial diesmal einige Spritzer Babyduftöl, das sie sich extra besorgt hatte. Jetzt maß Claire zweiundfünfzig Zentimeter, wog 2.540 Kilogramm und duftete wie ein echter Säugling. Norma streifte ihrem kleinen Mädchen einen süßen Nickizweiteiler über und legte sie, nach über einer Woche intensiver Arbeit, zu Jason in die Wiege.
»Keine Angst«, sagte sie mit Blick auf den Jungen, »es ist nur vorübergehend. Claires Bettchen wird in den nächsten Tagen geliefert.«
Auch ihrem Mädchen sang Norma ein Geburtstagsständchen. Diesmal hatte sie sogar ein Geschenk besorgt, holte die Schachtel von der Hutablage in der Diele, ging zurück ins Schlafzimmer und öffnete die Verpackung. Ein gelber Plüschhalbmond kam zum Vorschein. Sie hängte ihn über dem Bett an die Wand und zog an der Schnur.
»Der Mond ist aufgegangen.«
In dieser Nacht blieb Norma lange an der Wiege sitzen, schaukelte Jason und Claire, bis Müdigkeit sie überrollte. Zum ersten Mal seit ihrem Einzug schlief sie bei offenem Fenster. Die Geräusche der Autos, die auf der Umgehungsstraße unterwegs waren, störten sie kein bisschen.
In den folgenden Wochen freute sich Norma an den beiden, las ihnen Märchen vor, steckte sie in warme, süße Babysachen und zeigte ihnen das Meer.
So vergingen die Tage. Normas Glück schien perfekt. Hin und wieder chattete sie mit Dorit, rief sogar ihre Mutter an und bereute es gleich wieder, weil sie ihr ständig mit der Arbeitsagentur in den Ohren lag.
Als Claire beinahe sieben Wochen bei ihr lebte, verspürte Norma den Drang, eine neue Bestellung aufzugeben. Diesmal zögerte sie nicht und entschied sich für ein Zwillingspaar. Jasons und Claires negative Befindlichkeiten in Bezug auf den Familienzuwachs erstickte Norma im Keim. Sie hatte keine Lust auf Diskussionen.
Als die Rohlinge ankamen, machte sich Norma gleich an die Arbeit, perfektionierte ihre früheren Ergebnisse, legte Amy und Brandon kleine Perlenarmbändchen mit ihren Namen an. Für fremde Augen sahen sie sich mit Sicherheit zum Verwechseln ähnlich. Aber Norma konnte sie natürlich auseinanderhalten, wobei ihr unterschiedliche Leberflecken halfen, die sie kreativ auf der Vinylhaut anbrachte.
Mit ihren vier Kindern fühlte sie sich endlich ausgelastet. Ein Gefühl wie Glück stellte sich ein. Sooft es ging, packte sie ihre Schützlinge ins Auto, fuhr mit ihnen zum Dünenhof in Berensch und parkte gegenüber den Gästehäusern. Obwohl Ostern nun vorbei war und die Hochsaison begonnen hatte, blieb dieses Gebiet von Touristen weitestgehend verschont, selbst Einheimische verirrten sich selten hierher.
Berensch und Arensch, einsam gelegene Häuser, Landwirtschaft, Hofverkauf. Zwei kleine gemütliche Orte, nur einen Steinwurf voneinander entfernt. Gesäumt zur Meerseite von einer herrlichen Küstenheide, die sich wie riesige sumpfige Teppiche bis zur Nordsee erstreckte. Ein Paradies für Brandgänse, Silbermöwen oder Steinwälzer, das so manchen Ruhe suchenden Gast lockte und sich wunderbar mit dem Rad erkunden ließ. Flächendeckende Gastronomie und Infrastruktur suchte man allerdings vergebens. Hier konnte jeder seiner Wege gehen.
Der perfekte Ort für Norma.
Unbehelligt schob sie den großen Kinderwagen über einen schmalen Weg in Richtung Meer und achtete darauf, dass sie nicht neben die Steinplatten geriet. Zum einen, weil sie sich im Naturschutzgebiet befand, und zum anderen, weil sie nicht im Morast stecken bleiben wollte. Die Menschen, die ihr begegneten, warfen höchstens einen flüchtigen Blick in die himmelblaue Kinderkutsche und waren ganz angetan von den niedlichen Kleinen.
Um Pfingsten wurde Norma mutiger, wagte sich mit Claire und Jason auf den Spielplatz in der Nähe ihrer Wohnung oder nahm die Zwillinge mit auf den Wochenmarkt.
Niemand sprach sie an.
Entspannen konnte sie sich trotzdem nicht ganz. Früher oder später konnten Fragen kommen. Davor warnte Dorit sie jedenfalls eindringlich. Eine Nachbarin hatte sie neulich auf die Babywäsche angesprochen, die zum Trocknen auf der Wäscheleine im Garten hing. Seitdem schlich
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