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Finkenmoor

Finkenmoor

Titel: Finkenmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myriane Angelowski
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beim Umziehen. Durch Zufall lief ihr einer der Ärzte über den Weg. Er schien Iska zugewandt, lächelte, als er sie sah, und bat sie in eines der kleinen Besprechungszimmer. So erfuhr sie, dass ihre Tochter weiter Fortschritte machte.
    »Sie kommt mir gar nicht so vor«, stellte Iska fest.
    »Das sind die Tabletten«, entgegnete der Mediziner. »Psychisch ist die Patientin stabilisiert. Ich denke, wir werden sie in zwei bis drei Wochen entlassen können. Natürlich muss sie dann ambulant betreut werden.«
    Iska war überrascht. »Und wie hat sie die Nachricht aufgenommen?«
    »Gut, sehr gut. Es war ihr Wunsch. Sie will in ihr Leben zurück.«
    Iska stand auf. »Dann werde ich mal alles vorbereiten. Ehrlich gesagt, hätte ich nicht mit so einer baldigen Rückkehr gerechnet.«
    Der Arzt blieb sitzen. »Sie möchte nicht zu Ihnen zurück. Vielleicht hat sie das Thema deshalb nicht angesprochen.«
    »Was soll das heißen?«, fragte Iska und setzte sich wieder. »Wo will sie denn hin?«
    »Sie möchte schon in Ihrer Nähe bleiben, aber ihr Wunsch ist eine kleine eigene Wohnung. Was meinen Sie, können Sie Ihre Tochter bei dem Schritt unterstützen?«
    Iska verstand die Frage nicht. Sie hatte ihre Tochter immer unterstützt, sich nie in ihr Leben gedrängt. Aber sie machte sich Sorgen, und das war ja wohl berechtigt. Eine eigene kleine Wohnung, was für ein absurder Gedanke. Sie konnte einfach nicht verstehen, warum ihre Tochter gerade sie seit Ivos Tod nicht ertrug. Warum ausgerechnet ihr langjähriges gutes Verhältnis so brüchig wurde.
    »Werden Sie ihr helfen?«, fragte der Arzt.
    »Natürlich«, sagte Iska, erhob sich zum zweiten Mal, reichte dem Mediziner die Hand und verließ die Klinik.
    Am Abend sprach sie lange mit Phyllis. Ihre Schwester baute sie auf, fokussierte sie auf den wesentlichen Punkt. »Sieh es positiv. Norma will ins Leben zurück.«
    Teil 2
     

Bremerhaven 2011
    Anna Koranth beobachtete die Menschen vor dem Kaffeeautomaten, die in ordentlicher Reihe standen, und versuchte herauszufinden, was sie an diesem Anblick störte.
    Seit einem Jahr fuhr sie fast jeden Freitagabend in die Selbsthilfegruppe für die Hinterbliebenen von Gewaltopfern. Die Zusammenkünfte fanden in den Räumen der Arbeiterwohlfahrt im Herzen von Bremerhaven statt. Manchmal machte sich Anna früh auf den Weg, um an der Unterweser zu flanieren. Sie mochte die Atmosphäre dort, fühlte sich zurückversetzt in ihre Kindheit, dachte an die Sonntagsausflüge nach Bremerhaven. Hier hatte sie ihre erste Coke getrunken und mehrfach ehrfürchtig an der Hand ihrer aufgeregten Mutter die Stelle bestaunt, an der Elvis Presley 1958 als GI deutschen Boden betrat. Annas Mutter war eine der kreischenden Frauen gewesen, die den King of Rock ’n’ Roll dort empfangen hatte, und zeitlebens stolz auf diesen Moment.
    Vom Columbuskaije waren zwischen 1830 und 1974 mehr als sieben Millionen Menschen in die neue Welt aufgebrochen. Für Anna schwebte der Geist jener Zeit noch immer über dem Hafenbereich, jedes Mal, wenn sie hierherkam. Heute legten ganz in der Nähe die großen Kreuzfahrtschiffe ab, nahmen Touristen an Bord, die für ein paar Tage Seeluft schnuppern wollten. Aber früher wanderten die Menschen aus, trugen alles, was sie besaßen, in einem Koffer mit sich, kehrten der Heimat den Rücken, suchten ihr Glück in der Ferne und kamen meist nie wieder zurück. Anna spürte jedes Mal Wehmut, wenn sie im Hafen dieser Stadt saß.
    Auch heute hatte sie sich die Zeit genommen, eine Stunde im Auswandererhaus gesessen und Tee getrunken. Das geschäftige Treiben hier lenkte sie ab und gab ihr ein gutes Gefühl. Am Nachbartisch hatte ein Rentnerpaar bei Torte und Kaffee gesessen, offenbar völlig beeindruckt von ihrem Museumsbesuch.
    »Hautnah kann man das Auswandern da drinnen erleben«, sagte der alte Herr mit Berliner Akzent zu Anna. »Das Besteigen der Schiffe, die Not und Enge an Bord, Einzelschicksale, alles eindrucksvoll dargestellt, man hat sogar das Gefühl, dass der Schiffsboden schwankt.«
    Anna hatte sich auf ein Gespräch eingelassen und sich anschließend ungewöhnlich beschwingt gefühlt. Doch hier, in den Räumen der AWO, verflog ihr Elan, und sie ärgerte sich über die geordnete Schlange, die für Kaffee im Pappbecher anstand. Anna wusste mehr von jedem Einzelnen hier, als ihr lieb war, kannte ihre Schicksale, war anwesend. Nicht mehr und nicht weniger.
    Sie fand es schlimm, dass sie nichts fühlte, aber letztlich kamen ihr diese

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