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Finkenmoor

Finkenmoor

Titel: Finkenmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myriane Angelowski
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sie mehrere Telefonate. Zurück in Stade, heizte sie ihr kleines Apartment behaglich ein, ergänzte und korrigierte ihre Notizen so lange, bis sie mit dem Ergebnis vollständig zufrieden war.

Cuxhaven-Holte-Spangen
    Kilian glättete Hosen, Hemden und Sweatshirts, faltete die Sachen und legte sie in den großen Wäscheschrank im Flur. Anschließend goss er sämtliche Zimmerpflanzen, leerte den Mülleimer und saugte Staub. Als er fertig war, stellte er die Kaffeemaschine an und wartete. Sein Vater und Maxi mussten jeden Augenblick kommen.
    Als die beiden um sechzehn Uhr immer noch nicht da waren, versuchte Kilian, seinen Vater auf dem Handy zu erreichen. Ohne Erfolg. Jetzt wurde er nervös, rief in der Reithalle an, doch auch dort ging niemand ans Telefon. Kilian tigerte durchs Haus. Vom Küchenfenster zur Terrassentür mit Blick auf den Hof und zurück. Lauschte, fluchte. Nun waren seine Schwester und Johann fast eine Stunde überfällig. Das konnte nichts Gutes bedeuten.
    Kilian hielt die Ungewissheit nicht länger aus, streifte einen dicken Pullover über und schnappte sich die Autoschlüssel. Als er den Motor seines Wagens gestartet hatte, sah er zwei Scheinwerfer kommen. Endlich.
    Erleichtert sprang er aus seinem Auto, ging einige Schritte auf das Fahrzeug seines Vaters zu und sah auf die Rückbank. Von Maxi keine Spur. Kilian riss die Fahrerseite auf. Panik überflutete ihn.
    »Wo ist Maxi?«
    »Wieso? Du wolltest sie abholen«, lallte Johann.
    »Du hast getrunken!« Kilian packte seinen Vater und riss ihn vom Sitz. »Du blödes Arschloch, hast dich wieder volllaufen lassen und deine Tochter vergessen! Du machst mich krank!«
    Kilian ließ Johann los. Sein Vater knallte auf den Sitz zurück und sackte zusammen. Er konnte nur mit Mühe seinen Kopf hochhalten. Bevor Kilian die Autotür zuschlug, verpasste er seinem Vater einen Faustschlag gegen den Kopf. Johann jaulte auf.
    Kilian lief ins Haus. Das war das dritte Mal in vier Wochen, dass sein Vater auf Sauftour gegangen war und Maxi vergessen hatte. Hastig wählte Kilian die Telefonnummer des Gestüts.
    »Mein Vater hat es nicht geschafft«, sagte Kilian, als endlich eine der Reitlehrerinnen das Gespräch annahm. »Ist Maxi noch da?«
    »Diane hat sie abgeholt.«
    Kilian schloss die Augen.
    Diane, die Gute.
    Felsbrocken fielen ihm vom Herzen. Aber es war an der Zeit, dass sich Johann seinem Alkoholproblem stellte. So ging es einfach nicht weiter.
     
    Hallo Emily,
    deine E-Mail hat mich berührt. Ich finde es toll, wenn Menschen sich engagieren. Es stimmt, manche der Jungs, die hier einsitzen, bekommen kaum Post, und ich gehöre definitiv dazu. Meine Mutter schreibt mir manchmal, aber das war’s auch schon! Besuch bekomme ich nicht, oder wenn, nur unfassbar wenig. Ein Cousin lässt sich hin und wieder blicken, aber ich glaube, er war in den ganzen Jahren nur zweimal hier. Meine Mutter ist einmal hier gewesen! Mein Vater noch nie.
    Bis vorgestern wusste ich nicht, dass es in Deutschland Menschen gibt, die sich ehrenamtlich mit JVA-Insassen beschäftigen. Umso erfreuter bin ich jetzt, dass es [email protected] gibt und du dich entschieden hast, mir zu schreiben. Wie hast du mich ausgewählt? Zufall? Oder bin ich dir quasi zugeteilt worden? Ach, im Grunde ist es auch egal, Hauptsache, wir schreiben uns.
    Wahrscheinlich werde ich bis zum letzten Tag hier in Hannover einsitzen. Auf eine Verlegung hoffe ich eigentlich nicht. Im Grunde habe ich den Traum von Lingen oder Oldenburg sowieso längst aufgegeben. Wer nichts erwartet, kann auch nicht enttäuscht werden, oder?
    Schön, wenn wir uns jetzt schreiben, der Briefkontakt wird mir die Zeit hier versüßen und Abwechslung in mein langweiliges Leben bringen! Ich freue mich, wenn ich wieder von dir höre. Ich habe einiges zu erzählen.
    So long, Ronny
    PS: Das beigelegte Foto entspricht nicht ganz den Tatsachen. Ich bin jetzt wesentlich schlanker!

Cuxhaven 2012, Haydnstraße
    Den Brief vom Arbeitsamt öffnete Norma nur deshalb, weil sie eine Zusage oder weitere Informationen wegen des Kindergeldes erwartete.
    »Jetzt geht es bergauf«, sagte sie gut gelaunt und lächelte in die Runde. Ihre Lieblinge saßen in Kinderstühlchen um den Esstisch. Nur Jason lag wie immer schlafend im Laufstall.
    Flüchtig überflog sie die maschinell erstellten Zeilen. »… ist es nicht möglich, so dicht hintereinander so viele Kinder … beglaubigte Geburtsurkunden … Jugendamt … unkontrollierter Besuch …

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