Finkenmoor
Mitwirkungspflicht …« Weiter kam Norma nicht. Ihr Lächeln starb. Kraftlos sank sie aufs Sofa.
Dort blieb sie regungslos sitzen. Es dauerte, bis sie einen klaren Gedanken fassen konnte und eine Vorstellung davon bekam, was zu tun war.
Cuxhaven-Wernerwald
Zu beiden Seiten standen Tannen. Der Makler fühlte sich sichtlich unwohl und fuhr sich durch die ergrauten Haare. »Eigentlich darf ich hier nicht mit dem Auto hineinfahren«, sagte er zum wiederholten Mal.
Phyllis beachtete Süder nicht. Sie versuchte, alles in sich aufzunehmen, jeden Strauch, die Bäume und Wege. Bisher hatte sie sich nicht an diesen Ort gewagt. Es jahrelang vermieden, die Stelle zu besuchen, an der Ivos Martyrium begann und endete.
Das Haus tauchte unvermittelt auf. Düster und heruntergekommen stand es zwischen Kiefern. Sie hatte es sich größer vorgestellt. Der Makler parkte dicht davor.
Phyllis löste den Sicherheitsgurt.
»Was wollen Sie bloß mit der Bruchbude?«, fragte Süder. »Ich habe so tolle Ferienhäuser im Angebot, klein und gar nicht teuer.«
Phyllis stieg aus und betrachtete das Gebäude. Sämtliche Scheiben waren eingeschlagen, das Treppengeländer lag zersplittert auf den Stufen, und soweit sie erkennen konnte, fehlten in der Veranda einige Bretter im Boden. Jemand hatte mit weißer Farbe »NUTE« mit einem T auf die Außenwand gesprüht. Iska näherte sich vorsichtig dem Zugang und drückte die Klinke.
»Sie brauchen einen Schlüssel, auch wenn es absurd ist«, sagte der Makler hinter ihr und öffnete die Tür.
Der Raum war vollständig leer geräumt. Süder machte Licht. »Immerhin gibt es Strom! Möbel müssen Sie offensichtlich selbst mitbringen.«
»Und der Keller?«, fragte Phyllis, ohne auf den Scherz einzugehen. »Ist er ebenfalls entrümpelt?«
»Ich glaube ja. Die Besitzer haben alles entfernen lassen. Wollen Sie das Untergeschoss sehen?«
»Ja.«
Phyllis warf nur einen kurzen Blick in das Gewölbe. Wie Süder gesagt hatte, gab es kein Inventar, keinen, nicht den kleinsten Hinweis auf Dallinger.
Süder fröstelte. »Hier soll sich vor einigen Jahren eine schreckliche Tat ereignet haben. Die ursprünglichen Eigentümer haben das Haus damals an meinen Mandanten verkauft.« Der Makler drehte sich zu Phyllis. »Sie sind doch von hier, erinnern Sie sich an das Verbrechen mit den beiden Kindern?«
Phyllis fühlte einen starken Druck auf ihrer Brust, Bilder tauchten vor ihrem geistigen Auge auf. Ivo blutüberströmt an der Treppe. Ivo halb tot in der Kiste. Er kostete sie Überwindung, nicht nach draußen zu stürmen, aber sie wollte auf keinen Fall Süders Misstrauen wecken.
»Ja, natürlich erinnere ich mich an den Fall«, sagte Phyllis so beiläufig wie möglich. »Aber das ist eine Ewigkeit her. Zwischenzeitlich hat das Haus einer Familie gehört, die es an Wochenenden genutzt hat. Es ist quasi ›gereinigt‹. Ich denke da praktisch. Die Hütte liegt nah am Meer. Ich möchte meine Angelsachen hier lagern und nicht einziehen!«
Süder schüttelte den Kopf.
Phyllis hätte schreien können, beherrschte sich aber und trat betont langsam den Rückweg an, schlenderte auf die Veranda und bat, wie nebenbei, zum Aufbruch.
Süder startete einen letzten Versuch, Phyllis ein anderes Objekt schmackhaft zu machen. Sie ließ ihn reden, blätterte später in seinem Büro die vereinbarte Summe bar auf den Tisch und unterschrieb den Kaufvertrag. Das Netz der Spinne wurde dichter.
Cuxhaven, Niedersachsenstraße
Abends erwartete Phyllis ihre Schwester in der »Kleinen Fischkiste«. Als Iska endlich erschien, sah sie blass und ausgemergelt aus. Ihre sonst so strahlenden Augen wirkten glanzlos, die Haare strähnig. Die Geschwister begrüßten sich förmlich. Von der Herzlichkeit, die ihre Beziehung eigentlich ausmachte, war heute nichts zu spüren.
Sie bestellten frische Krabben auf Schwarzbrot, die in einem kleinen Einwegglas und mit extra Gurkensalat serviert wurden.
»Was ist los?«, fragte Phyllis nach einigen Belanglosigkeiten. »Du wirkst bedrückt.«
Iska legte das Besteck zur Seite. »Es ist Norma. Ich habe Angst, dass sie sich wieder etwas antut.«
Diese wenigen Worte schafften sofort Nähe.
Phyllis griff nach Iskas Hand. »Was ist passiert? Wie kann ich helfen?«
Ihre Schwester zog ein Taschentuch hervor und putzte sich die Nase. »Sie schafft es nicht, Phyllis, sie zerbricht an Ivos Tod, und ich muss zusehen, kann nichts tun. Was soll ich nur machen? Ich ertrage den Gedanken nicht, dass Norma ihrem
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