Finnischer Tango - Roman
Qasim.
35
In dem Naturfilm über die Tiere Australiens tauchte nun das Schnabeltier auf, und Kirsi Hallamaa, die auf dem Sofa neben ihrer Mutter saß, lachte laut. Der einen halben Meter große braune Zottelpelz hatte flossenartige Beine, einen Schnabel wie eine Ente und einen Schwanz wie ein Biber. Wie der begeisterte Moderator berichtete, brütete das zahnlose Säugetier seine Eier erst und säugte dann seine Jungen, und das Schnabeltiermännchen konnte mit seinem Gift sogar ein Tier von der Größe eines Hundes töten.
Eeva Hallamaa nahm vom Frühstückstablett zwei Lebertrankapseln, viererlei Tabletten mit Spurenelementen und drei Silizium-Kalk-D-Kompretten und spülte sie mit Juice hinunter, ohne sie zu zerbeißen. Sie betrachtete ihre Tochter, die, ganz in den Dokumentarfilm vertieft, ihre Cornflakes kaute, und versuchte die Ruhe an diesem Feiertagmorgen zu genießen, war aber nicht imstande, ihre Unruhe zu verdrängen. Mikko hatte sie schon verloren, zumindest vorübergehend, und sie fürchtete, auch auf Kirsi verzichtenzu müssen. Und was sollte sie dem Dekan der Fakultät sagen? Jetzt ärgerte sie sich, dass sie es gestern nicht einmal zuwege gebracht hatte, sich krank zu melden.
»Wo ist übrigens Mikko?« Kirsis Frage kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
Eevas Anlaufmarkierungen gerieten völlig durcheinander. »Mikko schläft jetzt ein paar Nächte im Fotoatelier. Wir müssen erst einmal einige Dinge klären.« Eeva hatte den Satz kaum ausgesprochen, da bereute sie ihre Worte schon. Sie belog ihre Tochter oder beschönigte zumindest die Wahrheit. Aber es wäre sinnlos, Kirsi mit Problemen zu beunruhigen, die möglicherweise schon bald erledigt waren.
»Quatsch. Er ist abgehauen, weil ihr euch gestritten habt.«
Eeva wollte keine Auseinandersetzung mit ihrer Tochter. »Wie war übrigens eure Reitstunde gestern? Ist sie …«
Ihr Handy schrillte, und Eevas Herz setzte einen Schlag aus. Rief der Türke jetzt an? Mikko jedenfalls war es nicht, der hatte sich im Laufe des Vormittags schon zweimal gemeldet. Vielleicht rief ihre Freundin Sari an, mit der sie sich am Tag vorher im Café getroffen hatte. Am liebsten wäre sie davongerannt und hätte das Telefon klingeln lassen. Dann wandte sich Kirsi um und schaute sie fragend an, sie war gezwungen, das Gespräch annehmen.
»Unbekannte Nummer«, las Eeva auf dem Display. Das mußte der Türke sein, obwohl er sich nicht mehr telefonisch melden wollte.
»Guten Morgen, spreche ich mit Eeva Hallamaa?«, fragte lebhaft ein Mann, der sich jung anhörte, aber keine Antwort bekam. »Ich bin vom Finnischen Direktmarketing. Wir bieten in der Weihnachtszeit Vorteile, die wirklich Geld wert sind. Haben Sie einen Augenblick Zeit?«
Eeva war schon nahe daran, das Gespräch abzubrechen,da fiel ihr ein Rat ein, den Mikko ihr kürzlich gegeben hatte. »Ja, also …«
»Jetzt gibt es die Zeitschriftenabos für das nächste Jahr unglaublich billig. Beispielsweise die ›Illustrierte für Haushalt und Garten‹ kostet nur …«
»Ich habe es jetzt etwas eilig. Aber geben Sie mir Ihre Nummer zu Hause, dann rufe ich abends an.«
In der Leitung herrschte für einen Augenblick Schweigen. »Also … Ich möchte eigentlich nicht, dass wegen dieser Dinge bei mir zu Hause angerufen wird …«
»Na dann verstehen Sie ja vollkommen, wie ich mich gerade fühle«, sagte Eeva, musste lachen und legte auf. Die Rache war süß, in dieser Woche hatte mindestens schon dreimal jemand am Telefon versucht, ihr etwas aufzuschwatzen. Wo bekamen die nur ihre Nummer her?
Wenn sie doch auch dem Türken ein paar offene Worte sagen könnte. Sie wollte gar nicht mehr daran denken, wofür der Mann ihr Zahlengedächtnis brauchte, wer weiß, was das für schauderhafte Dinge waren. Ihre Phantasie hatte schon schreckliche Varianten heraufbeschworen. Am Morgen war sie auch überzeugt gewesen, dass Adil irgendwie mit all den Ereignissen der letzten Tage zu tun hatte. Diese Einbildung konnte sie jedoch durch eine Anfrage bei der Technischen Hochschule zerschlagen; in o taniemi fand tatsächlich eine Konferenz zum Thema »Mathematik, Wissenschaft und Technologie« statt.
Sie kehrte auf das Sofa zurück, legte ihre Hand in Kirsis Nacken und genoss die Wärme ihrer Haut.
»Wie wär’s, wenn wir zu dritt irgendwohin fahren und Urlaub machen, wir beide und Mikko?«, schlug Kirsi vor. »Ziemlich viele aus unserer Klasse waren letztes Weihnachten im Ausland.«
»Eine gute Idee, das überlegen wir uns an
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