Finnischer Tango - Roman
Istanbul hatte ihren neugeborenen Sohn zur Adoption freigegeben, und der Junge war einer kurdischen Familie zugesprochen worden. Darüber wurde in Zanas Anwesenheit nie geredet, der letzte Mensch, der die Angelegenheit Zana gegenüber erwähnt hatte, war in den Bergen Kurdistans seinen Messerstichen erlegen.
Adil musste lachen, nicht über Zana, sondern über den Zufall, eine wesentliche Eigenschaft der Natur und des Lebens. Der an Zanas Messerstichen gestorbene Mann war ein Kurde aus dem Irak gewesen, Adil hatte von dem Mord erfahren, Informationen über Zana eingeholt und ihn als Helfer angeworben. Es gab auf der Welt auch Dinge, dachte Adil, die geschahen, ohne dass Genialität im Spiele war.
Er entschloss sich, über den Hakaniemi ins Hotel »Kämp« zu fahren. Dann überlegte er, in welche Richtung er seinen Abendspaziergang unternehmen würde. Er wollte seine Freiheit noch einmal genießen, in ein paar Tagen würde an ihre Stelle ein genau überwachtes Leben treten. Fast alles war bereit, mit Hilfe der Beziehungen seiner Familie hatte er sichergestellt, dass alle erforderlichen islamistischen Organisationen seinen Plan unterstützten. Schon bald würde die Welt besser werden.
Viel besser.
6
Das Bild des an Ketten hängenden nackten Russen tauchte so lebensecht vor ihren Augen auf, dass Eeva Hallamaa zusammenzuckte. Sie saß auf einem unbequemen Metallstuhl des öden, unmöblierten Warteraums im Kellergeschoss der Sicherheitspolizei und starrte auf die Betonwand wie auf eine Kinoleinwand. Je mehr Zeit verging, umso schwerer fiel es ihr, die Ereignisse des Tages zu verstehen. Warum hatte man sie zur SUPO gebracht? Zum Glück kannte sie Ratamo, vielleicht würde Arto dafür sorgen, dass sie bald nach Hause gehen konnte. Sie sehnte sich nach Mikko, Kirsi und gerade jetzt am allermeisten nach Speed. Das lag am Stress.
Warum hatte der Türke unter fünf Millionen Finnengerade sie ausgesucht, um der Polizei seine Nachricht zu übermitteln? Sie hatte niemandem etwas Böses getan und kannte keinen einzigen russischen Drogendealer. Als hätte sie nicht selbst schon genug Probleme. Und warum glaubte die Polizei ihr nicht? Die Zweifel auf den Gesichtern der Bullen waren nicht verschwunden, obwohl sie in Pasila alles ein Dutzend Mal erklärt hatte. Es schien vielmehr so, als würde man sie selbst verdächtigen, wegen irgendetwas. Stundenlang waren ihr Proben entnommen worden: Man hatte in den Haaren mit einer Art Wattekamm Fasern gesucht, unter den Nägeln Schmutz herausgekratzt, Fingerabdrücke und DNA-Proben genommen, Fotos gemacht, Erkennungszeichen festgehalten … Zum Glück hatte sie bei Ratamo zu Hause die Blutspuren an ihren Händen abgewaschen.
Zorn packte Eeva. Warum musste Mikko auch ausgerechnet an diesem Sonnabend eine Dienstreise machen? Und warum musste das alles gerade jetzt passieren, wo endlich alles in Ordnung war? Der jahrelange Streit um das Sorgerecht für Kirsi hatte im Herbst ein Ende gefunden, im Sommer waren sie und Mikko zusammengezogen, und dank der neuen Psychotherapeutin hatte sie das Gefühl, dass es ihr so gut ging wie seit Jahren nicht. Zumindest bis gestern.
Zum Glück war Kirsi bei Ratamo zu Hause. Sie kannte den Mann schon so gut, dass sie sicher war, er würde nach Kräften helfen. Sie lagen auf derselben Wellenlänge, vielleicht deshalb, weil sie beide in ihrem Leben leidgeprüft waren.
Und wo sollte sie mit Kirsi unterkommen, wenn man sie freiließ? Sollte sie es wagen, nach Hause zu gehen? Eeva war sich nur in einem sicher: Bei ihren Eltern würde sie nicht unterkriechen, den beiden Alten hatte sie schon genug Sorgen bereitet.
Eeva sprang von dem unbequemen Stuhl auf und lief mitklappernden Absätzen auf dem Betonfußboden hin und her, am liebsten hätte sie der Überwachungskamera unterhalb der Decke den Mittelfinger gezeigt. Der Stress katapultierte ihre Gedanken in Richtung Speed, ob sie es wollte oder nicht. Ein Gramm, ein Beutelchen für fünfundzwanzig Euro, würde alle Probleme beseitigen, für einen Augenblick. Eeva schrak zusammen, als sie bemerkte, wie wunderbar ihr dieser Gedanke erschien. Sie hatte Angst. Wenn sie nicht bald nach Hause kam und sich beruhigen konnte, würde sich das Verlangen nach Drogen nicht mehr allein mit Willenskraft unterdrücken lassen. Sie griff in ihre Handtasche, steckte sich eine Vitamin-D-Pille und zwei Schmerztabletten in den Mund und spülte sie mit Quellwasser aus der Flasche hinunter. Plötzlich öffnete sich die Tür, und drei
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