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Finnischer Tango - Roman

Finnischer Tango - Roman

Titel: Finnischer Tango - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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vorgesehen, doch Adil wollte seinen Helfer im Auge behalten. Turan Zana war intelligent, aber bei weitem kein Genie wie er. Niemand war das. Er hatte seine Dissertationen in Mathematik und Physik vor seinem zwanzigsten Geburtstag geschrieben, mit zweiundzwanzig Jahren in Philosophie promoviert und als jüngsterWissenschaftler aller Zeiten eine Professur am MIT erhalten, und mit dreißig war er Wissenschaftsminister des Irak geworden. Doch Adil sehnte sich nicht nach den Zeiten, in denen er sich in seine Vollkommenheit zurückgezogen hatte. Jetzt besaß sein Leben ein Ziel, telos , das es moralisch zu einer Einheit machte. Er würde Gutes tun, dachte Adil, und sein Gedächtnis überschüttete ihn sofort mit Thesen der Tugendethik von Aristoteles.
    Aus dem alten Supermarkt kam eine rothaarige Frau heraus, Adil schaute zu ihr hin und suchte den Blickkontakt. Er konnte der Rothaarigen noch einen neugierigen Blick entlocken, bemerkte aber im selben Moment, dass er an der Ecke zum Kauppatori auf die falsche Spur geraten war. Er riss das Lenkrad herum. Die meisten Frauen mochten sein kultiviertes, zerbrechliches und jungenhaftes Wesen. Doch für ihn war nur die Beste gut genug.
    Er konnte Eeva nichts vorwerfen: Wenn sie imstande gewesen wäre, zu verstehen, was für ein Mann Adil al-Moteiri war, dann hätte sie ihn nie und nimmer verlassen. Schon der Gedanke amüsierte ihn. In gewisser Weise verstand er die Entscheidung seiner Geliebten. Eeva hatte keine andere Alternative, als ihre Beziehung zu beenden. Die Frau war nie fähig gewesen, zu begreifen, dass Genies Ausnahmeindividuen sind mit hochsensiblen Nerven, heftigen emotionalen Reaktionen und einem schlechten Anpassungsvermögen. Genies sind launisch und ihren wechselnden Stimmungen und ihrer Niedergeschlagenheit ausgeliefert, und sie sind nicht nur Unbekannten gegenüber in ihrem Verhalten leicht reizbar, empfindlich, rücksichtslos und überheblich, sondern machen auch ihren Angehörigen das Leben schwer. Er empfand Mitleid für Eeva, weil ihr Begriffsvermögen so begrenzt war. Als in Hakaniemi plötzlich ein LKW Schnee auf seine Windschutzscheibe schleuderte, runzelte er die Stirn.
    Wegen Eeva hatte er 2001 auf seine Professur am MIT verzichtet, er war in das kalte und abgelegene Finnland gezogen und hatte an der Technischen Hochschule Helsinki eine Vertretung übernommen, für die er einfach viel zu qualifiziert gewesen war. Und wegen Eeva war er ein Jahr später nach Bagdad zurückgekehrt, hatte den Posten des irakischen Wissenschaftsministers angetreten und seine Eltern und Schwestern eingeladen, bei ihm zu wohnen, kurz vor dem Angriff der Koalitionstruppen. Sie waren bei dem Bombenanschlag der Terroristen umgekommen, weil sie in seinem Haus wohnten. Einen größeren Verlust als den Tod seiner Familie vermochte sich Adil nicht einmal vorzustellen. Aber während und dank der Qualen von Camp Bucca hatte er endlich verstanden und alles aus dem richtigen Blickwinkel gesehen. Er würde nicht schwach werden und eine einfache Lösung wählen, nicht Böses, sondern Gutes würde er tun. Helfen wollte er und nicht Rache üben. Er, der Wohltäter Adil al-Moteiri.
    Er drehte die Dritte Sinfonie lauter, die mit doppelter Geschwindigkeit aus den Lautsprechern dröhnte. Je mehr er an das Glück dachte, das ihm zuteil geworden war, umso besser fühlte er sich. Auf dem Weg des Leides hatte er die größtmögliche Aufgabe gefunden. Verwundert fragte er sich, warum ihn das immer noch überraschen und so heiter stimmen konnte, er war doch der größtmögliche Geist , ein Freigeist, der nur an sich selbst glaubte. Er hatte die Sehnsucht nach Sicherheit hinter sich gelassen und würde auch noch am Rande von Abgründen tanzen können. Die erfolgreichste Form der Intelligenz war in diesen Zeiten eine frohe Überheblichkeit, die dem Tier im Menschen den Vorrang gab. Er bat für sich selbst um nichts und verließ sich nicht auf andere.
    Die Heizung des Mégane lief auf Hochtouren, aber die Fenster strahlten Kälte aus. Genau wie die Einwohner Helsinkis,dachte Adil und verließ die Hämeentie, dabei wischte er mit der Hand die beschlagene Windschutzscheibe ab.
    Zana wohnte in der Helsinginkatu, gegenüber von einem Alkoholgeschäft, weil er behauptete, man fände in Finnland keinen Ort, an dem es unruhiger und städtischer zuging. Hier wurde sogar ein Mann, der aussah wie ein Araber, nicht arbeiten ging und aktiv wurde, wenn die anderen schliefen, kaum beachtet. Adil hatte versprochen, Zana

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