Finns Welt - 01 - Finn released
Vater zieht Oberlippe, Nase und Brauen hoch und kaut mit dem Unterkiefer einen Moment lang auf meiner Geschichte herum, bis er sie begriffen hat. Er schüttelt den Kopf. Halb tadelnd, halb stolz. »Finn«, sagt er, »so geht das nicht weiter.«
Ich lächle und stelle das Lösungsmittel zurück.
»Und von wem sind die Katzen wirklich?«, fragt er.
»Bauer Brockmeyer«, sage ich. »Er wollte sie ertränken. Da haben wir gesagt, wir vermitteln sie. War gar nicht so leicht.«
Mein Vater steht auf. Er ächzt, als wäre er älter, als er ist. Als läge ihm dieser ganze Keller mittlerweile wie eine schwere Last auf den Schultern. Er nimmt mich in den Schwitzkasten und tut aus Spaß so, als würde er mir eine Kopfnuss geben.
»Da muss ich den alten Schäfer wohl demnächst mal fragen, was die Floss-Katzen so machen«, sagt er.
»Sorry!«
»Ja, ja«, schmunzelt mein Vater. »Aber langsam solltest du deine Geschichten aufschreiben. Sonst kommen wir durcheinander.«
Ich liebe ihn.
»Papa?«, frage ich völlig unvermittelt. »Sind wir bald pleite?«
Mein Vater schluckt. »Es geht schon«, sagt er und ich weiß, dass er nur deswegen so nachsichtig mit mir und meinen Geschichten ist, weil ich nicht der Einzige bin, der in dieser Familie Lügen erzählt.
DER GRABEN
»Wisst ihr, was das gestern mit den Kätzchen im Grunde war?«, fragt Flo nach der Schule, die heute früher endet, weil Frau Kobol eine Sommergrippe hat.
Ich schüttle den Kopf. Lukas schießt einen Karton, der neben einer Altpapiertonne steht, in die Luft.
»Eine Quest. Im Grunde war das eine Quest!«
Lukas stöhnt, aber Flo ignoriert ihn. »Rette vier Katzen vor dem bösen Brockmeyer. Das ist wie eine Aufgabe in einem Computerspiel. Und wir haben sie bestanden.«
Lukas tritt den Karton weiter die Straße hinab und sagt: »Also, wenn die einer bestanden hat, dann Finn.«
»Ja, aber wir drei waren die Gruppe, die sich der Quest gestellt hat.«
»Finn hat gewonnen.«
»Es geht nicht um Gewinnen und Verlieren, du Fußball-Horst!«
»Dann kriegt Finn halt die Bonuspunkte oder wie das bei euch geht. Wahrscheinlich kommt am Ende der Punkte-Papst im Kettenhemd auf seinem Feuerstuhl herbeigerast und verteilt die Belohnungen.«
»Willst du wieder eine Blutgrätsche?«, fragt Flo.
»Ist doch gar nicht so doof«, sage ich. »Ihr beide kriegt bloß Erfahrungspunkte und ich bekomme einen ganzen Level an Stärke mehr. So geht das doch, oder?«
Flo überlegt. »So ungefähr …«
Ich bleibe stehen. Irgendwas bewegt sich in mir. »Das ist echt eine coole Idee, Flo – das mit der Quest! Wir waren gestern auch den ganzen Tag draußen deswegen, wie der Broich es uns empfohlen hat.«
»Jetzt mach mal halblang«, sagt Lukas.
»Ihr habt beide gemeckert, dass es total langweilig ist, sich draußen rumzutreiben, wenn man kein Ziel hat. Gestern hatten wir aber eins.«
»Und heute?«, fragt Flo.
»Heute«, ich überlege kurz, »heißt die Quest: Euros aus dem Graben ziehen.«
»Was?«
Ich zeige nach vorn, wo die Landstraße anfängt. »So macht man das doch in Spielen, oder? Man grast die Gegend ab und findet Schätze.«
»Na ja«, meint Flo, »so allgemein kann man das auch nicht sagen.«
»Wir machen das jetzt«, bestimme ich. »Jeder kriegt ein Stück Straßengraben, eine Stunde lang. Wer die meisten Schätze gefunden hat, gewinnt – oder, sorry, der wird aufgelevelt. Die anderen kriegen nur Erfahrungspunkte.«
»Das ist albern«, beschwert sich Lukas, »was willst du denn finden?«
»Jetzt lass dich doch mal drauf ein«, sagt Flo.
»Und dann?«, fragt Lukas und zeigt auf mich. »Dann latscht Finn mit einem Pralinenkarton voller Hundehäufchen zu Herrn Schäfer und behauptet, das wären späte Kunstskulpturen von Otto Floss, oder was?«
»Das wäre zum Beispiel eine Möglichkeit«, entgegne ich. »Man könnte aber auch einfach nur Pfandflaschen finden.«
»Oder Uhren«, sagt Flo.
»Uhren? Was bist du denn für eine Geistesmöhre? Wer lässt denn bitte seine Uhr fallen?« Lukas macht es vor. »Oh, hoppla, da ist mir die goldene Uhr meines Großvaters in den Graben geplumpst. Na ja, der ist mir zu tief, da steige ich jetzt nicht rein, die lass ich da mal liegen.«
»Ich habe kein Wort von goldenen Uhren gesagt!«, entgegnet Flo.
Ich lasse die beiden streiten, gehe so lange schon mal vor, steige in den Graben und halte eine leere Red-Bull-Dose mit dem Pfandsymbol drauf in die Höhe. »Ich sag mal so«, rufe ich, »es steht 25 Cent zu null zu null für
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