Finns Welt - 01 - Finn released
jemand ist und wie er lebt. Das dauert, aber Flo und Lukas haben jetzt Geduld. Lass Finn mal machen, denken sie bestimmt. Soll er sich doch die Finger verbrennen. Na, wir werden schon sehen. Bisher ist noch jeder auf meine Geschichten hereingefallen.
Nach einer Weile fällt mir ein Haus auf, bei dem die Garage offen steht. Kinderfahrräder stehen darin, ein kleines mit Stützrädern, ein dreckiges BMX und ein Mädchenrad ohne Stange. Regale voller altem Zeug, es quillt scheinbar wahllos heraus. Ich sehe es mir genau an. Ich schleiche auf das Gelände, setze behutsam einen Fuß vor den anderen und schaue durch das Wohnzimmerfenster. Ein gemütlicher Lesesessel vor einem Bücherregal, ein alter Sekretärschrank und echte, handgemachte Bilder an den Wänden. Sie sind alle vom selben Maler, das erkenne ich. Wer es ist, weiß ich nicht. Ich gehe wieder nach vorn.
»Der ist es«, sage ich und klingle. »Gib mal die Fotos her!« Flo reicht mir mein Handy, das er noch in der Tasche hat.
Ein älterer Herr mit grau meliertem Haar öffnet. Er trägt eine Bundfaltenhose und ein Hemd, dessen obere Knöpfe offen sind. Seine Uhr war teuer.
»Ja, bitte?«
»Guten Tag, Herr Schäfer« – seinen Namen habe ich vom Klingelschild –, »ich bin der Sohn von Herrn Anders, dem Druckermeister, wissen Sie?«
»Aber klar«, sagt Herr Schäfer. »Ich finde es gut, wenn einer noch so ein ehrwürdiges Handwerk beherrscht. Wollt ihr reinkommen?«
»Gerne«, sage ich und genieße es, wie Flo und Lukas die Kinnlade runterfällt. Ich habe noch kein Wort von Katzen gesagt und bin schon drin. Wir betreten das Wohnzimmer und stehen jetzt zwischen den großen Gemälden und der wuchtigen Bibliothek. Ich suche, so schnell ich kann, mit den Augen auf den Bildern nach der Unterschrift des Malers.
»Was führt euch denn zu mir?«, will Herr Schäfer wissen. »Wollt ihr eine Limo?« Er holt schon welche, ohne unsere Antwort abzuwarten, klimpert in der Küche und stellt uns eine Auswahl auf den Tisch. Ich nehme ein Mezzo Mix, öffne es zischend und sage, den Blick auf die Gemälde gerichtet: »Herr Schäfer, was ich Ihnen jetzt erzähle, werden Sie mir nicht glauben.«
»Was denn, mein Junge?«
»Mein Vater, der hat sein Handwerk von Grund auf gelernt.«
»Ja.«
»Neunzehnhundert …«, ich rechne schnell im Kopf nach, »… fünfundsiebzig hatte er an seiner Hochschule einen Tag lang einen Gastlehrer für Lithografie.«
»Aha«, sagt Herr Schäfer und ist beeindruckt, dass ein Junge wie ich so ein Wort wie Lithografie kennt. Das ist ein Flachdruckverfahren. Die Vorlage wird dabei spiegelverkehrt auf eine Steinplatte handgemalt. Sehr teuer. Reine Kunst. Eben etwas, das einen Mann wie Herrn Schäfer beeindruckt. »Und jetzt raten Sie mal, wer der Lithografielehrer meines Vaters war!«
Ich lächle. Herr Schäfer runzelt die Stirn, aber nicht ärgerlich wie Herr Wollscheid, sondern neugierig und gespannt. Ich nicke immer wieder in Richtung der Gemälde. Herrn Schäfers Augen weiten sich.
»Nein!«, sagt er.
»Doch«, sage ich, »mein Papa hat Otto Floss noch zu Lebzeiten kennengelernt!« So heißt der Maler, von dem all die Bilder in Herrn Schäfers Wohnzimmer stammen. Ob er tatsächlich tot ist, weiß ich nicht. Manche Schüsse müssen eben ins Blaue gehen.
»Wirklich?«, sagt Herr Schäfer. Floss ist also tatsächlich tot, was gut ist.
»Ja«, sage ich, »und jetzt passen Sie auf!« Ich zeige ihm die Kätzchen im Display des Handys. »Diese Katzenkinder hier, das sind die Enkel der Katzenmutter, die damals bei Otto Floss zu Hause durchs Atelier gelaufen ist.«
»Wie bitte?«
»Ja! Als der Floss gestorben ist, da hat er seine Katze einem Assistenten vermacht und der ist bis heute gelegentlich Kunde bei meinem Vater. Neulich schreibt er ihm eine Mail von wegen ›Ich habe zu viele Katzen zu Hause‹ und ob wir die nicht vermitteln könnten, es wäre doch sonst zu schade drum.«
Herr Schäfer schaut sich das Bild so genau an wie ein altes Buch, dessen Schrift er entziffern will. Lukas und Flo halten ihre Limoflaschen in der Hand. Herr Schäfer fährt sich mit der Zunge über die Lippen.
»Ja, gut, wahrscheinlich ist es albern und sentimental«, mache ich weiter. »Bloß weil die Oma von den Kätzchen da die Katze von dem Floss war … ich meine, Sie sind ein erwachsener Mann und kein Mädchen, dem man sagt, man hat hier Katzen aus der Familie von Justin Bieber anzubieten.«
»Nein, nein«, sagt Herr Schäfer und winkt ab, »das ist nicht
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