Finns Welt - 01 - Finn released
dürfen hier gerade mal Schrittgeschwindigkeit fahren und auf fünfzehn Häuser kommt genau ein Spielplatz.
»So, jetzt zeige ich euch mal, wie man das macht«, prahlt Flo, als wir dem geschwungenen kleinen Kiesweg durch den Vorgarten folgen. Er wurde sehr liebevoll und bunt bepflanzt, mit Narzissen, Stiefmütterchen und Vergissmeinnicht. Die Erde zwischen den Blumen ist sorgsam geharkt. Kein Unkraut weit und breit.
»Man darf bei kleinen Kätzchen keine Männer fragen«, sagt Flo und Lukas rollt mit den Augen, »man muss Frauen fragen. Besser gesagt: Mütter!«
Flo baut seinen kleinen Körper vor der Tür auf, drückt seinen Rücken durch und klingelt. Eine Frau mit halblangem blondem Haar öffnet. Sie hat Gummihandschuhe an, ein Spültuch in der einen und einen tropfenden Teller in der anderen Hand. Hinter ihr steht ihre kleine Tochter.
»Hallo, Frau Schieber.«
»Oh, hallo, Florian. Hat deine Mutter dich geschickt, um mir die Romane zurückzubringen?«
»Was?« Flo kommt kurz aus dem Konzept. »Nein, nein, die hat sie noch nicht ausgelesen. Es geht um was anderes. Und zwar …«, Flo lässt sich von Lukas mein Handy geben, »um das!«
Frau Schieber kneift die Augen zusammen, doch da quiekt ihre Tochter schon los. »Sind die sß. Sind die süüüüüüüüüüüüüüüüüß!« Sie hüpft auf und ab, zupft an einer Gummipalme im Flur, zupft an ihren Armbändchen und rennt ein Stück die Treppe hinauf und wieder herunter.
»Diese Kätzchen suchen einen neues Zuhause«, sagt Flo und die Tochter steckt ihren Kopf durch das Treppengeländer. »Kriegen wir sie, Mama?«
Frau Schiebers Lippen werden schmaler. Sie legt die Ohren an. Flo lächelt zuversichtlich und merkt gar nicht, wie sehr er die Frau überrumpelt, gerade weil ihre Tochter dabei ist.
»Jessy, Süße, wir können nicht einfach kleine Katzen aufnehmen.«
»Ach Mama, bötttteeeeeeee!!!«, bettelt Jessy.
»Die Tiere sind ganz pflegeleicht.«
»Tatsächlich, Florian?«, fragt Frau Schieber. »Sie sind also schon geimpft, entwurmt, kastriert und gechipt?«
Flo wird blass. »Öh …« Er schüttelt sich kurz, als müsse er einen bösen Gedanken vertreiben, reibt sich hinter dem Ohr, hebt den Kopf wieder und sagt, erneut siegessicher: »Frau Schieber, ich will ganz ehrlich mit Ihnen sein. Wenn wir für diese Kätzchen nicht bis heute Abend ein Zuhause finden, wird Bauer Brockmeyer sie im Fluss ertränken.«
»Was???«, kreischt Jessy und weint.
Frau Schieber funkelt zornig mit den Augen. »Das stimmt nicht, was der böse Junge da behauptet«, sagt sie und nimmt ihre Tochter in den Arm, »Katzen können gar nicht ertränkt werden.«
Die Tochter heult. Flo wippt vom linken aufs rechte Bein und zurück. »Können sie wohl. Tut mir leid, Kleine, aber so ist das. Ihr könntet sie retten.«
»Mama, wir müssen diese Kätzchen retten!«, schluchzt Jessy. Frau Schieber tötet Flo mit ihren Blicken. Dann hockt sie sich hin, zwingt sich zu einem Lächeln, fasst ihre Tochter an den Schultern und sagt: »Schatz, jetzt hör mir mal zu. Du möchtest helfen, und das ist gut. Das ist richtig toll, Süße. Aber wir können nicht allen helfen. Guck mal, in Afrika, da verhungern sogar kleine Menschenmädchen, so wie du, nur weil sie dort statt hier geboren sind und nichts zu essen haben. Oder denk an die vielen japanischen Kinder, denen es schlecht geht wegen des kaputten Atomkraftwerks.«
»Okay«, sagt die Tochter. »Dann will ich ein afrikanisches Kind. Und ein japanisches!«
Lukas muss kichern. Flo weiß gar nicht, wie ihm geschieht. Ich seufze und ahne schon, dass mal wieder alles an mir hängen bleiben wird.
»Aber Jessy, das war jetzt nur ein Beispiel.«
»Japaner oder Katzen!!!«, schreit Jessy.
»Dann wohl lieber Katzen, oder?«, fragt Flo, der nie weiß, wann es genug ist.
»Sag deiner Mutter, sie kann die blöden Romane behalten!«, faucht Frau Schieber und knallt uns die Tür vor der Nase zu. Wir hören, wie Jessy dahinter weitertobt und -stampft. »Japaner! Japaner! Japaner!«, schreit sie und ein Blumentopf geht zu Bruch.
Flo senkt den Kopf. Wir verlassen den Vorgarten. Eine Biene trinkt sich an einer Narzissenblüte satt. Ein froschgrüner Golf fährt vorbei.
»Soll ich es jetzt mal bei jemandem probieren?«, sage ich und habe kaum zu Ende gesprochen, als Lukas und Flo beide schon laut »Ja!« sagen.
Ich suche mir einen Fremden. Die Auswahl im Wohnviertel ist ja groß. Man muss nur genau hinsehen. Die Lage checken, um zu verstehen, wer
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