Finns Welt - 01 - Finn released
Ding hat ohne Ende Kratzer am Gehäuse.«
Ich überlege, was ich machen könnte, denn ich will für den Fund so viel Geld wie möglich rausholen. Nicht bloß, weil ich die Quest gewinnen will, sondern vor allem, weil meine Mutter die Rechnung für das Auto nicht überweisen kann. Ich denke mir also schnell eine Geschichte aus. Dann verziehe ich das Gesicht, drehe mich vom Händler weg und schlage mit der Hand auf die Theke. »Er konnte doch nichts dafür!«, schreie ich und tue so, als würde ich gleich weinen.
Lukas schaut sofort hoch und Flo hört auf, die Spiele durchzusehen. Der Händler macht ein fragendes Gesicht. Ich denke intensiv an einen Moment, in dem ich wirklich traurig war, denn wenn man das macht, kommen einem irgendwann tatsächlich die Tränen. »Mag ja sein, dass er ein Assi war, ein richtiger Proll«, schluchze ich. »Die erste Liste auf dem iPod heißt ›Atzenmucke‹. Aber er war ein guter Assi. Er hat es nicht verdient, mit dem Moped im Graben zu landen. Scheiße!«
Ich halte mir die Hände vors Gesicht. Flo und Lukas wissen gar nicht, was sie tun sollen. Ich bin selbst überrascht, wie sehr ich aufdrehe.
»Was?«, stammelt Gregorius.
Ich nehme die Hände wieder vom Gesicht und zeige ihm meine wässrigen Augen. »Er hat das Kind zu spät gesehen, weil er seine Stöpsel in den Ohren hatte. Atzenmucke. Bum, bum, bum! Die Mutter schrie noch. Dann sah er die Kleine und hat den Lenker rumgerissen. Das Kind kam mit dem Schrecken davon. Er landete im Graben. Bein gebrochen, Arm gebrochen, das ganze Paket. Und jetzt liegt er im Krankenhaus, drückt mir den iPod in die Hand und sagt: ›Vertick das Scheißding und kauf der Kleinen davon ’ne ordentliche Barbie.‹ Verstehen Sie? Er fährt nie mehr mit Kopfhörern Moped.«
Ich sehe, wie es in Gregorius arbeitet. So ein Ankaufsgespräch hat er garantiert noch nie geführt. Er fragt sich, ob ich lüge. Aber er denkt sich bestimmt auch: Warum sollte ein junger Mann hier öffentlich vor mir rumheulen? Junge Männer schämen sich, wenn sie weinen. Die machen sich nicht lächerlich für ein paar Euro mehr. Er nimmt den iPod wieder in die Hand und begutachtet ihn noch mal.
»Ach, Mist«, stoße ich hervor, »dann kauf ich der Kleinen halt keine Barbie. Dann hol ich halt ein billiges Malbuch oder was weiß ich.«
Der Gebrauchtwarenhändler seufzt, reißt seine Kasse auf und legt einen Zwanziger auf den Tisch. »Hier«, sagt er, »aber geh zu Toys’R’Us, da kriegst du mehr Barbie fürs Geld.«
Ich greife gespielt zögernd nach dem Schein und wispere leise »Danke«. Dann verlasse ich schnell den Laden. Lukas und Flo brauchen ein paar Sekunden, bis sie mich schließlich draußen einholen. Ich reibe mir mit dem T-Shirt die Augen sauber.
»Alter!«, sagt Lukas.
»20 Euro zu 25 Cent zu 8 Cent?«, frage ich. »Oder habt ihr neben euren Grabenkämpfen vorhin noch Pfand gesammelt? Ach ja, ich hab auch noch Leergut in meinem Rucksack. Das sind dann 22,15 Euro zu 25 Cent zu 8 Cent.«
»Du bist erst dreizehn Jahre alt«, sagt Flo. »Wann zur Hölle hast du eigentlich Schauspielerei studiert?«
»Und woher wusstest du schon wieder, dass er dir die Geschichte abkauft?«, fragt Lukas.
»Wusste ich nicht«, sage ich. »Aber Schuldgefühle funktionieren fast immer. Vor meiner Geschichte sollte der Mann einfach nur zu viel Geld für ein altes Gerät rausrücken. Nach meiner Geschichte war das Geld plötzlich eine Spende für ein zu Tode erschrockenes Mädchen. Klar, er hätte sich auch denken können: Der Junge lügt. Aber was, wenn nicht? Dann wäre er der kaltherzigste Arsch unter der Sonne gewesen.«
»Das ist ganz schön krass«, sagt Flo und fixiert mich von der Seite. »Ich weiß nicht … es ist irgendwie … also, die Geschichte war schon echt heftig.«
Ich schürze die Lippen und gehe schweigend neben ihm her.
»Aber ich würde trotzdem sagen, dafür hast du zwei Levelaufstufungen verdient.«
»Nein«, widerspricht ihm Lukas.
»Wie, nein?«, sage ich.
»Nein«, bekräftigt Lukas. »Du hast Vorteile in dieser Disziplin.«
»Dann machen wir heute eben noch was, was du besser kannst«, schlage ich vor. »Oder?«
»Und ich?« Flo schaut unsicher von mir zu Lukas.
»Meine Disziplin war die Schauspielerei. Deine wäre eigentlich gewesen, die Schätze im Graben zu finden, aber du hast es ja vorgezogen, mit verseuchten Kämmen zu schmeißen.«
»Alles klar«, schaltet Lukas sich ein, »dann bestimme ich jetzt eine ganz einfache Quest. Um die Wette
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