Finns Welt - 02 - Finn reloaded
Namen nichts im Netz!«, rufe ich aus und freue mich schon wieder, weil nun alles Sinn ergibt. Ich sollte mich aber nicht freuen, denn die Gesichter von Sophia und Flo bleiben finster.
Flo sagt: »Woher sollen wir wissen, ob der Vertrag da echt ist? Vielleicht gehört das ja alles auch noch zum Spiel?«
»Nein!«, sagt Heiner und hebt die Hände.
»Und selbst, wenn er echt ist«, fährt Flo fort. »Dann musst du erst mal wochenlang überlegen, ob du uns genug liebst, um zu bleiben? Den Vertrag immer in der Tasche? So als Notausgang, falls die Liebe doch nicht stark genug ist?«
»Das ist jetzt unfair, Flo! Gefühle und Lebensträume, das ist nicht so leicht.«
»Du hast Mäuse gequält«, sagt Sophia. »Und du isst Fleisch. Alles, was Augen hat. Du hast meinen Sohn mit kleinen Kälbern gefüttert, am Lagerfeuer, weil echte Männer Lebewesen essen müssen.«
Heiner schaut Sophia an, als sei dieses Thema doch eigentlich vom Tisch. Jetzt runzelt er die Stirn: »Ich erzähle dir gerade, dass ich für euch die größte Chance meiner Karriere aufgegeben habe und du fängst wieder mit den Mäusen an?«
Sophia legt die Blätter zurück in die Schachtel und schließt sie. »Ja, stimmt. Das liegt ja allein in deiner Hand, was mit anderen Lebewesen passiert, oder? Ob sie leben oder sterben?«
»Ja, genau!«, sagt Flo. »Und ob man bei ihnen bleibt oder doch nach München geht. Und dann ringt man mit sich selber, die ganze Zeit den Vertrag in der Tasche. Und die anderen wissen noch nicht mal was davon, dass sie jederzeit verlassen werden könnten!«
»Aber ich habe ihn zerrissen!«
»Du hast mit den Jungs kleine Kälber gegrillt.«
»Ach, Sophia, jetzt hör doch auf! Es geht hier um uns, was interessieren mich da diese beschissenen Tiere?« Sophias Augen werden groß wie zwei traurige Monde. Heiner läuft auf und ab. Er weiß, das hätte er nicht sagen sollen. »Das ist doch Kitsch, jetzt von den Tieren anzufangen.« Er seufzt. Heiner, der große Feuerbohrer, ist hilflos.
Sophia drückt ihm die Schachtel in die Hände zurück, stellt sich hinter Flo, legt ihm ihre Hände auf die Schultern und schweigt.
»Sophia«, bettelt Heiner, »jetzt sag doch was.«
Sophia sagt nichts.
Sie dreht nur den Kopf weg. Wortlos. Sie schaut am Buddha vorbei in den Garten. Sie dreht den Kopf wieder zu ihm. Sie sagt: »Kleb ihn wieder zusammen. Geh nach Hause, nimm dir Tesafilm und kleb den Vertrag wieder zusammen.«
Das war’s.
Das war Sophias letzter Satz.
Man sieht es, denn kaum hat sie ihn gesagt, zieht sie sich endgültig in ihr Schneckenhaus zurück. Heiner hat Tränen in den Augen, steht noch einen Moment im Raum, seine Schachtel in der Hand, und geht dann. Ich beobachte ihn durchs Fenster, bis er im Auto sitzt. Er weint am Steuer. Seine Schultern zittern. Falls er spielt, zieht er es durch. Er schaut nicht mal zum Haus, um zu prüfen, ob wir ihm zuschauen. Es dauert fünf Minuten, bis er den Motor anlässt.
DAS GEHACKTE
Flo spielt sehr viel, aber er war nie einer dieser Jungen, die man bei der Super Nanny sieht. Diese fiesen Biester mit Kopfhörern so groß wie Wagenräder, die sich zur Tür umdrehen und ihre Mutter anschreien, wenn diese nach achtzehn Stunden World of Warcraft fragt, ob sie vielleicht mal was essen wollen. So war er nie. Flo ist nicht süchtig.
Sophia spinnt manchmal, aber sie war nie wie eine dieser Frauen aus dem Eso-Report. Diese verwirrten Tanten mit Glasperlenketten so groß wie Tennisbälle am Band, die Tarotkarten legen und ihre Nachbarn anschreien, wenn diese nach zwei Stunden ritueller Zaubergesänge fragen, ob die bösen Geister jetzt endlich vertrieben seien. So war Sophia nie. Sophia ist nicht verrückt.
Nun aber ist Heiner fort und Flo und Sophia wollen nicht mehr aus ihrem Haus raus. Flo schleppt sich zur Schule, weil er muss. Sophia schleppt sich zu meinen Eltern, weil sie sie ständig zum Essen einladen, damit sie nicht noch depressiver wird. Sie spricht nicht. Sie ist nicht anwesend. Im Grunde sitzt beim Essen nur das Schneckenhaus am Tisch, mit einer großen, schwarzen, finsteren Öffnung.
Flos Schneckenhaus ist sein Zimmer. Wie schlecht es ihm geht, sieht man daran, dass er nicht mal mehr World of Warcraft spielt. Er lässt seine Mitstreiter, die irgendwo vor ihren Bildschirmen sitzen, auf ihn warten.
»Ich will mit Menschen nichts mehr zu tun haben«, sagt er. Also spielt er jetzt allein. Er hat sich auf dem Trödelmarkt bei einem Händler, der Mehtin heißt und nicht nach dem
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