Finns Welt - 02 - Finn reloaded
Hansen spielt den Bürgermeister ungefähr so überzeugend wie ein Büffel eine Weihnachtsgans. Schwerfällig trampelt er über die Bühne. Hat er gerade keinen Text aufzusagen, guckt er debil ins Publikum.« Lukas wartet auf eine Reaktion von Flo, aber es kommt nichts. Keinen Millimeter dreht er den Kopf. Lieber schwingt er den Hammer und erzeugt Geräusche, als würde er seinem Gegner saftige Grillsteaks zwischen die Ohren klatschen.
Ich lese einen Text vor, den ich ins Netz gepostet habe: »Heiner Hansen ist der schlechteste Darsteller, den die Städtischen Bühnen seit 1906 gesehen haben. Er ist so miserabel, dass auf dem Hauptbahnhof mittlerweile Handzettel verteilt werden, auf denen sich der echte Bürgermeister der Stadt persönlich dafür entschuldigt, dass Hansen in seinem Theater den erfundenen Bürgermeister so unterirdisch spielt.«
Flo ist immer noch wie eingefroren. Oder hat sich da eben an seinem linken Auge das Unterlid bewegt?
Lukas klickt eine weitere Seite auf, die wir beschmiert haben, und setzt noch einen drauf: »Wegen des furchtbar üblen Schauspielers Heiner Hansen muss bei jeder Aufführung des Hauptmann von Köpenick der Notarztwagen draußen vor der Tür warten. Es ist schon mehrfach vorgekommen, dass Zuschauer, als Heiner Hansen seine Rolle spielte, vor Fremdscham ohnmächtig geworden sind. Einer hat sogar einen Herzinfarkt bekommen.«
Da.
Jetzt hat Flos Auge gezuckt.
Ich stehe auf und kitzle ihn. »Komm schon, du willst doch lachen. Nun mach schon. Lass es raus. Lach!«
Flo lässt es raus, aber nicht, indem er lacht. Er schlägt mit dem Joypad nach mir und schreit: »Jetzt lass mich hier in Ruhe metzeln, verdammt! Es ist mir egal, ob Heiner gut ankommt oder nicht. Versteht ihr das? Verflucht noch mal!«
Quaaaartsch – kaum hat er es gesagt und der Streithammer bricht wieder Rippen und treibt die Splitter ins Fleisch.
Lukas und ich wissen langsam nicht mehr weiter. Lukas macht noch schnell einen Handstand auf Flos Bett und versucht dabei, Boom Boom Pow von den Black Eyed Peas zu furzen. Dann gehen wir nach Hause.
In der Schule hockt Flo auf der Bank neben den Büschen und starrt wie zu Hause auf einen Bildschirm. Er hat sich bei Mehtin, der nicht nach dem Ausweis fragt, noch ein »ab-18-Modul« für seine alte PSP besorgt und macht einfach nahtlos weiter mit dem Gemetzel. Nun scheppern Schwertklingen aus der kleinen Konsole und Gehacktes quillt aus den winzigen Lautsprechern. Ich würde ihm gerne zu seiner Erheiterung anbieten, den großmäuligen Dustin erneut zum Pfahllaufen herauszufordern, aber Frau Kobol hat die Schulleitung veranlasst, sämtliche alte Holzpfähle ziehen zu lassen.
»Komm, Flo, wir müssen zum Sport«, sagt Lukas. Flo spielt einfach weiter. Lukas zieht ihn hoch und führt ihn zur Turnhalle. Flo hackt auf die Tasten ein. In der Umkleide plumpst er auf die Bank und nimmt die gleiche Position ein, die er eben draußen hatte.
»Oh, ein Suchtkind von RTL 2«, sagt Dustin und zieht sich an der Bank gegenüber sein Hemd aus. Er hat gute Muskeln, MASCULINITY 7 von 10, würde ich sagen, aber das will ja auch niemand mehr hören. Flo sortiert in diesen Metzelspielen nicht mal sein Inventar. Früher sortierte er bei Spielen stundenlang sein Inventar. Jetzt drückt er morgens einfach nur auf Start und schlachtet den ganzen Tag mit derselben Waffe.
»Was können wir bloß tun, damit es dir besser geht?«, frage ich. In seiner Hand treffen Schwerter auf Morgensterne. Irgendjemand lacht grausig. Das Orchester spielt eine Fanfare.
»Rache«, sagt Flo so leise, dass ich es fast nicht gehört hätte. Dann sagt er es noch mal und lässt sogar ganz sachte die Kleinkonsole sinken: »Rache!«
Lukas – halb ausgezogen, Fuß auf der Bank – lässt das Wort nachklingen und kratzt sich am Knie. Dann nickt er. Langsam, schneller.
»Rache finde ich gut«, sagt er. »Es wird heutzutage viel zu wenig gerächt. Ich meine, denkt mal daran, wie Kevin-Prince Boateng damals dem Ballack die Karriere kaputtgetreten hat. Der konnte sich nie richtig rächen.«
»Hör mit dem Fußball auf oder ich zerre das kleine Schwert hier aus dem Bildschirm und steche dir damit in den Hals.«
»So will ich das hören! Schon besser, Flo!«
»Aber was sollen wir groß machen? Wir haben Heiner im Internet verrissen. Das dauert jetzt erst mal, bis er selbst unter irgendwelchen Usernamen genug Positives dagegen geschrieben hat. Ich glaube, er hat gestern schon damit angefangen. Um 23.25 Uhr hat
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