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Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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fahren — fort, fort, irgendwohin, nur fort, und am nächsten Morgen hatten sie Wytham kurz nach sechs Uhr verlassen und waren nach Wales gefahren, wo er sie bei einer liebevollen Frau zurückließ, die (so ahnte er) sicher nicht lange brauchte, um die ganze Geschichte zu erfahren. Das einzige, was Karin aus ihrem Rucksack genommen hatte, waren 60 Pfund; den Rest ließ sie in ihrer Brieftasche zurück, was ihnen allen ein sehr überzeugendes Detail zu sein schien. Karin rief David aus Wales häufig an, häufig mehrere Male an einem Abend. Karin rief auch ihre Mutter an, mit der und ihren Schwestern zusammen sie den nächsten Schritt plante: Katarina schickte Karin aus Barcelona ihren eigenen, Katarinas, Paß in einem einfachen braunen Briefumschlag.
    Schließlich war Karin nach Oxford zurückgekehrt — und zu David Michaels, dem Mann, den sie immer mehr liebte und dessen fürsorgliche Liebe zu ihr keine Grenzen mehr zu kennen schien. Mit ihrem kurzgeschnittenen schwarzgefärbten Haar und einer schwarzumrandeten Brille hatte sie mit David und Bobbie in einem Zustand idyllischer Glückseligkeit gelebt, bis sie langsam begann, sich wieder in das Gemeinschaftsleben zu integrieren: einen Drink im Pub, Badminton in der Dorfhalle, Mitgliedschaft in der örtlichen Amateuroperngruppe. Und Ehe! Merkwürdig eigentlich, daß sie so nahe dem Mord so glücklich leben konnte. Aber sie konnte es. Der Alptraum war vorübergegangen. Es war, als gebe es eine Teilung, eine Art Netzwerk, zwischen ihr und ihrem ganzen Leben, bevor sie David kennengelernt hatte — wie das Netzwerk aus Zweigen und Ästen an der Stelle, wo das Blut über sie gespritzt war.
    Während der ersten sechs Monate etwa hatte David täglich damit gerechnet, den Leichnam zu finden, besonders als im Spätherbst die Bäume kahl wurden, oder damit, daß andere ihn entdecken würden, wenn sie die Waldwege durchstreiften und Vögel, Dachse, Füchse, Eichhörnchen und Rehe beobachteten... Aber nein. Und als Morse ihn fragte, wo er selbst eine Leiche verstecken würde, war ihm nie in den Sinn gekommen, daß Karin über den Singing Way so weit gelaufen sein konnte, so weit weg von Pasticks.
    Und noch etwas. Ungewöhnlich für Schweden, waren die Erikssons alle katholisch (etwas, was Lewis vermutet hatte, als er mit der Mutter sprach, doch bedauerlicherweise Morse gegenüber nicht erwähnte), und Karin hatte die kleine katholische Kirche an der Woodstock Road entdeckt. Früher im Jahr hatte sie den Führerschein gemacht, und sie gewöhnte sich an, am Sonntagmorgen zur Messe zu gehen, wenn David den Landrover nicht brauchte, und manchmal, wenn er ihn brauchte, holte er sie nach dem Gottesdienst ab. Zweimal ihm Monat oder so. Und manchmal ging sie zur Beichte, über die sie ihrem Ehemann nicht immer alles erzählte, gewiß nicht über die sich langsam formende Angst, ihr Mangel an Reue darüber, daß sie Myton getötet hatte, sei eine fast größere Sünde als das Töten selbst; über die Furcht, daß sie wieder töten könnte, wild und rücksichtslos töten könnte, wenn jemand versuchte, ihr eigenes und Davids Glück zu bedrohen. Doch gleichzeitig wuchs auch ein dazu seltsam im Widerspruch stehender Wunsch: der Wunsch, daß jemand die Wahrheit herausfinden würde über das, was sie getan hatte, sogar, daß jemand die Wahrheit preisgeben würde...
    Aber Father Richards könnte das nie tun, hatte er gesagt, als er sie tröstete und mit ihr betete und ihr im Namen des Allmächtigen Vaters vergab.

Kapitel vierundsechzig

    Ihre Lippen öffneten sich häufig in einem Wortgemurmel. Sie schien jeden Abend an einem Madrigal mitzuwirken

    (Thomas Hardy,
    The Return of the Native)

    Am Abend des folgenden Tages, Mittwoch, dem 5. August, hatten Morse, Lewis und Dr. Hobson eine kleine Feier in Morses Büro veranstaltet, und um 20.30 Uhr fuhr ein nüchterner Lewis die beiden anderen zu Morses Wohnung in Nord-Oxford.
    «Sie wollen doch nicht noch einen Drink?» fragte Morse Lewis, als habe er die Frage mit num eingeleitet, dem lateinischen Fragefürwort, auf das eine verneinende Antwort erwartet wird.
    «Wie elegant!» rief Laura Hobson angesichts Morses neuem CD-Spieler begeistert aus.
    Zehn Minuten später saßen Laura und Morse zusammen, tranken Glenfiddich und nahmen das Finale der Götterdämmerung in sich auf.
    «Es gibt kaum etwas Vergleichbares in der ganzen Musikgeschichte», erklärte Morse apodiktisch, nachdem Brunnhilde in die Flammen geritten war und die Wogen des Rheins

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