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Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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der Jungen in ihrer Oberschulklasse in Uppsala sie immer erbeben lassen — und die ihrer Lehrer? Vielleicht sogar, für kurze Zeit, die Begierde des primitiven, rattengesichtigen Myton, der versucht hatte, sie draußen im Wytham-Wald zu vergewaltigen, und den sie dann so bewußt ermordet hatte?
    Und als Morse hinunterblickte auf das glatte und narbenlose Fleisch über ihrem Knie, fragte er sich einen Augenblick lang, ob nicht auch er, wie Myton, an einem heißen und schwülen Sommernachmittag dieses Mädchen so wunderschön gefunden hätte, daß er sie haben mußte.

    Lewis fuhr die Straße, die am Waldrand entlang zum Dorf Wytham führte, vorsichtig hinunter. Neben ihm saß WPC Wright, und Karin Eriksson und Chief Inspector Morse saßen hinten.
    Fast immer, wenn ein Fall dieses Stadium erreicht hatte, empfand Morse eine gewisse Trauer, jetzt, da der Nervenkitzel der Jagd vorüber war und die Schuldigen der angemessenen Strafe entgegensahen. Er hatte oft nachgedacht über das Problem der Gerechtigkeit, und er wußte, wie die meisten Menschen mit zivilisierten Wertbegriffen, daß es die Aufgabe des Gesetzes war, das Gerüst von Ordnung zu liefern, in dem Männer und Frauen geschützt werden konnten, während sie ihren legitimen Aufgaben nachgingen. Ja, der Verbrecher mußte für seine Missetaten bestraft werden, denn das war das Gesetz. Und Morse war ein Hüter des Gesetzes. Und doch dachte er jetzt, während er den Körper von Karin Eriksson dicht neben sich spürte, wieder über den feinen Unterschied zwischen Gesetz und Gerechtigkeit nach. Gerechtigkeit war eines jener großen Wörter, die eigentlich in Großbuchstaben geschrieben werden sollten, aber in Wirklichkeit war es viel schwerer zu definieren als das Wort Gesetz. Karin würde sich dem Gesetz stellen müssen. Er wandte sich zur Seite, um sie anzusehen — die wunderschönen blauen Augen zu betrachten, die jetzt feucht von Tränen waren. In diesem Augenblick schienen für ein paar Sekunden irgendwelche Bande zwischen Ihnen zu bestehen — zwischen Morse und der jungen Frau, die James Myton ermordet hatte.
    Plötzlich und unerwartet flüsterte sie ihm etwas ins rechte Ohr.
    «Haben Sie schon einmal hinten in einem Auto Sex mit einem Mädchen gehabt?»
    «Nicht hinten», flüsterte Morse zurück. «Vorne natürlich. Oft!»
    «Sagen Sie die Wahrheit?»
    «Nein», sagte Morse.
    Er wußte, daß irgendwo hinter seinen eigenen Augen sich ein Vorrat von Tränen gesammelt hatte, während das Polizeiauto an die Hauptstraße kam, nach links abbog und, vorbei an Wytham, auf das Polizeipräsidium zufuhr. Und ein oder zwei Sekunden lang meinte er zu spüren, daß Karins linkes Bein sich sanft gegen ihn preßte, und er wünschte sich sehr, daß er recht hatte.

Kapitel dreiundsechzig

    Alles, was offensteht,
    Sind einige Tode (auch mein eigener).
    Ihre Folge und ihre Art
    Bleiben abzuwarten

    (Philip Larkin, Collected Poems)

    Die Aussage von Karin Eriksson brachte Lewis kaum neue Erkenntnisse. In noch nie dagewesener Weise hatte Morse ihn in den wesentlichen Punkten fast von Anfangan in seine Verdächtigungen im Fall des Schwedenmädchens eingeweiht, und später auch dann, wenn er einer Sache gewiß war. Es gab ein oder zwei bedeutsame Unstimmigkeiten, besonders, was die Geldmenge betraf, die Karin bei ihrer Ankunft in Oxford bei sich hatte, und was die Anzahl der Voyeure betraf, die Zeugen ihrer Fotografiersitzung in der Seckham Villa gewesen waren. Aber aus den kombinierten Aussagen von Karin selbst und ihrem (völlig legitimen) Ehemann David konnte man sich die Folge der Ereignisse am Sonntag, dem 7. Juli 1991, mühelos zusammenreimen.

    Auf der M 40 war Karin fast sofort von einem Lieferwagen mitgenommen worden, der auf dem Weg zur Rover Car-Anlage in Cowley/Oxford war. Am Kreisverkehr Headington abgesetzt, war sie wieder fast sofort von einem BMW mitgenommen worden und am Banbury Road-Kreisverkehr an der Northern Ring Road abgesetzt worden. Dann war sie ein paar Hundert Meter die Banbury Road hinuntergegangen (Busse schienen sonntags nur vereinzelt zu fahren), hatte das Cotswold House gesehen und impulsiv gedacht, wie herrlich es wäre, wenigstens eine einzige Nacht in einem so hübsch aussehenden Gästehaus zu verbringen. Sie hatte den Türklopfer betätigt und sich nach den Preisen erkundigt. Man sagte ihr, daß ein Einzelzimmer frei sei, aber als sie hörte, was es kostete, hatte sie beschlossen, sich nach etwas Billigerem umzusehen, ein bißchen später. Von

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