Finsteres Verlangen
wieder still, aber nicht starr. Ich fühlte sein Herz an meiner Wange schlagen. Ich hätte geschworen, dass es vor einer Minute nicht geschlagen hatte.
»Bei euch bleiben? Wie?«, fragte er mit belegter Stimme.
Ich packte sein Hemd und zog ihn herum. Er ließ sich langsam umdrehen. Es war, als wollte man die Erde gegen ihre Rotationsrichtung bewegen. Er lehnte sich gegen die Tür und zeigte mir seine unversehrte Seite.
Ich wollte ihn am Hemd ins Zimmer ziehen, doch er ließ es nicht zu. Er sah an mir vorbei Jean-Claude an. »Ich kann das nicht«, sagte er gequält.
»Was glaubst du, worum sie bittet?« Jean-Claude behielt seinen sorgfältig neutralen Ton bei.
»Sie würde alles tun, um ihre Leute zu schützen, sogar für eine Nacht einen Krüppel in ihr Bett lassen.«
Ich knüllte den Hemdstoff in meinen Händen und musste mich zu ihm neigen, weil er nicht zu mir kommen wollte. »Ja, ich will dich vor Musette schützen, und mein Wunsch dient diesem Zweck, aber das ist nicht der eigentliche Grund.«
Er sah mich an, und in seinen Augen stand eine Welt voll Schmerz und Verlangen und Schrecken, groß und einsam. Die erste heiße Träne rollte mir über die Wange. Ich sprach leise auf Französisch mit ihm, und einiges verstand ich sogar.
Asher ergriff meine Handgelenke und drückte mich weg. »Non, Jean-Claude, so nicht. Es ist entweder ihr eigener Wunsch oder es geht nicht. Dein Triumvirat darf nicht noch mehr auseinanderfallen. Lieber verbringe ich eine Nacht in Musettes Bett, als deine Macht zu schwächen. Du musst stark sein, solange sie hier sind, oder wir gehen alle unter.«
Ich holte tief Luft, und es war, als hätte sich ein Schleier gelüftet. Ich drehte mich um und sah den Vampir hinter mir an. »Hast du das mit Absicht gemacht?«
Er schlug sich die Hände vors Gesicht und sagte bewegt: »Ich konnte nicht anders, mein Verlangen war zu groß. Verzeih mir, ma petite.«
Ich drehte mich wieder zu Asher um. »Es geht dir gar nicht darum, ob ich dich begehre, Asher. Du weißt längst, dass ich das tue.«
Er wollte sich abwenden, aber ich fasste ihm an die Wange, und diesmal wich er nicht aus. Er ließ es zu, dass ich sein Gesicht zu mir drehte, mit den Fingerspitzen am Kinn. Die Haut dort fühlte sich glatt an, obwohl es die rechte Seite war. Vielleicht hatten seine Peiniger es nicht über sich gebracht, ihm auch die schöne Mundpartie zu entstellen.
»Es ist nicht Lust, was du von mir willst.«
Er senkte den Blick. Fast schloss er die Augen wie jemand, der eine Ohrfeige erwartet. »Nein«, flüsterte er.
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, nahm sein Gesicht in beide Hände. Die eine Seite war so seidig glatt, die andere so rau vernarbt, dass sie sich kaum wie Haut anfühlte. »Ich liebe dich, Asher.«
Er öffnete die Augen. So viel Schmerz stand darin und zugleich so vieles, womit man verletzen konnte.
»Ich weiß nicht, wie weit das durch Jean-Claudes Erinnerungen entstanden ist. Aber wie es auch begonnen hat, ich liebe dich. Ich selbst, keine andere.«
»Doch du hast mich nicht in dein Bett gelassen.«
»Ich liebe viele Leute, ohne mit ihnen zu schlafen. Oder ohne mit ihnen Sex zu haben.«
Sein Blick veränderte sich, und ich begriff, was ich gesagt hatte. »Ich möchte, dass du heute Nacht unser Bett teilst, Asher, bitte. Und nicht nur zum Schlafen.«
Er legte seine Hände auf meine. »Nur um mich vor Musette zu bewahren.«
Das ließ sich nicht bestreiten, aber … »Das stimmt, aber ist das denn so wichtig? Spielt der Grund eine Rolle?«
Er lächelte sanft und nahm meine Hände weg. »Ja, Anita, der Grund ist mir wichtig. Du willst mich heute Nacht in dein Bett nehmen, aber morgen wirst du dich schuldig fühlen und davor weglaufen wollen.«
Ich sah ihn stirnrunzelnd an. »Du redest, als hätte ich dich schon einmal so behandelt. Habe ich aber nicht.«
Er tätschelte meine Hände. »Du warst mit vier Männern in diesem Bett dort drüben, mit vieren, einschließlich mir, aber du schläfst nur mit Jean-Claude. Du sättigst die Ardeur bei Nathaniel, fickst ihn aber nicht.« Kopfschüttelnd ließ er meine Hände los und lachte. »Nur du kannst so viel Willensstärke aufbringen, Nacht für Nacht neben so viel Schönheit zu schlafen und nicht zu nehmen, was Nathaniel zu bieten hat. Im Laufe der Jahrhunderte bin ich schon Heiligen und Priestern begegnet, die solchen Versuchungen nicht widerstehen konnten.«
»Meine Widerstandskraft scheint aber allmählich nachzulassen«, meinte ich, die
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