Fiona
Rand des Daches entlang und sah über die Zinnen an der Mauer des runden Turms hinunter. »Dort unten sind vier Fenster«, berichtete sie Judith. »Hinter welchem steckt Miles? «
»Laß mich nachdenken«, sagte Judith, ihr Seil über den Unterarm gelegt. »Das Fenster dort befindet sich an der Wendeltreppe, das gegenüberliegende Fenster im Zellendurchgang, also müssen diese beiden zu den Zellen gehören. « Sie deutete nach rechts und nach links.
Keine von beiden mußte erst erwähnen, daß es für Judith den Tod bedeuten konnte, wenn sie sich an dem falschen Fenster abseilte.
»Komm, ans Werk«, sagte Judith, als müßte sie sich auf ihre eigene Hinrichtung vorbereiten.
Alicia hatte von Kindesbeinen an mit Seilen zu tun gehabt, und mühelos band sie das Seilende mit ein paar Knoten zu einem Sitz für Judith zusammen. Sie zog ihr den Tartan-Rock zwischen den Beinen hindurch und befestigte die Enden unter dem breiten Ledergurt. Mit wild pochendem Herzen trat Judith in die doppelte Seilschlinge, befestigte die eine Hälfte um ihre Taille und die andere zwischen ihren Beinen.
Als sie nun auf den Zinnen stand, lächelte Alicia ihr zu.
»Konzentriere dich auf deine Arbeit, und denke nicht daran, wo du dich befindest. «
Judith konnte nur nicken, da ihr die Angst bereits die Kehle zuschnürte.
Alicia wickelte nun das andere Ende des Seiles um eine Zinne und benützte sie als Hebel, um Judith langsam am Turm hinunterlassen zu können.
Judith betete im stillen einen Psalm nach dem anderen, beschwor ihr Gottvertrauen und sah sich nach einem Halt für ihre Zehen um. Dreimal bröckelte das Mauerwerk unter ihren Füßen ab, und jedesmal sprang ihr das Herz in die Kehle hinauf, während sie lauschend innehielt und darauf wartete, daß jeden Moment ein Wächter über ihr erschien und das Seil durchschnitt, an dem ihr Leben hing.
Nach einem langen, langsamen Abstieg erreichte sie das Fenster, und als sie den Fuß auf das Fenstersims stellte, packte eine Hand ihren Knöchel.
»Still! « befahl eine Stimme, als Judith ein entsetztes Keuchen hören ließ.
Starke Hände umfingen ihre Waden, dann ihre Hüften, und zogen sie durch das Fenster. Judith, die so froh war, wieder auf festem Boden stehen zu können, klammerte sich so heftig an die Innenseite des Simses, daß ihre Finger zu brechen drohten.
»Seid Ihr nicht die Lady, die sich so sehr vor Höhen fürchtet? «
Judith drehte sich um und sah in Roger Chatworth’ ruhiges Gesicht. Sein Hemd hing in Fetzen an seinem kräftigen Körper. »Wo ist Miles? « fragte sie mit halb seufzender, halb krächzender Stimme.
Ein Geräusch vor der Zellentür veranlaßte Roger, sich schützend vor Judith zu stellen.
»Redest du mit dir selbst, Chatworth? « fragte der Wächter, machte aber keine Anstalten, die Zelle zu betreten.
»Hab ja niemand sonst, mit dem ich reden könnte«, rief Roger zurück und hielt Judiths bebenden Körper umschlungen.
»Wer ist oben auf dem Dach? « fragte Roger flüsternd an ihrem Ohr.
»Alicia. «
Judiths Antwort wurde von einem halblauten Fluch von Roger belohnt. Sie wollte sich von ihm lösen, doch in diesem Moment tat ihr jeder Trost gut. Roger zog sie mit dem Seil, an dem sie noch hing, in eine entlegene Ecke der kleinen Zelle. »Miles sitzt in dem Verlies gegenüber«, flüsterte er. »Er ist verwundet, und ich bin mir nicht sicher, ob er die Kraft besitzt, an Eurem Seil emporzuklettern. Der Wächter wird sich bald zum Schlafen niederlegen, und dann brechen wir aus. Ich klettere zuerst hinauf und ziehe Euch dann wieder auf das Dach. Doch Ihr könnt nicht allein in dieser Zelle bleiben. Ihr müßt Euch auf das Sims setzen, und wenn der Wächter in die Zelle schaut, müßt Ihr vom Fenster herunterspringen. Versteht Ihr mich? Sobald ich das Dach erreicht habe, ziehe ich Euch hinauf«, wiederholte er.
Judith ließ seine Worte in sich einsickern. Das war der Feind ihrer Familie, die Ursache von Mary Montgomerys Tod. Vielleicht beabsichtigte er, Alicia umzubringen und dann das Seil zu kappen, an dem sie hing. »Nein… « begann sie.
»Ihr müßt mir vertrauen, Montgomery! Alicia kann Euch nicht allein mit dem Seil auf das Dach ziehen, und Ihr könnt unmöglich mit dem Seil an der Mauer hinaufklettern. Verdammte Frauen! Warum haben sie nicht ein paar Männer hierhergeschickt? «
Das wirkte. Ihre Augen sprühten Blitze. »Was für ein undankbares Scheusal… «
Er legte ihr die Hand über den Mund. »Gutes Mädchen! Mag mir auch vieles an den
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