Firebird
am Stummengebiet und wäre sie nicht so nützlich für die Flotte gewesen, als die Beziehungen sich verschlechtert hatten.
»Damals waren es fünf Leute«, erzählte uns Miriam Varona, bezogen auf die Zeit der Sichtungen. Miriam war die einzige Offizierin im operativen Dienst. Ihr Ehemann, Barry, kümmerte sich um die Instandhaltung der Station, und ihr anderer Ehemann, Condrey, war Patrouillenoffizier. (Ich weiß nicht genau, wie die Beziehung zwischen diesen drei Personen funktionierte, aber dem Anschein nach war es eine Ehe zu dritt.) Eine vierte Person, die sie gern als ihren Personaltypen bezeichnete, war für zwei Monate in den Urlaub gegangen und von Miriams Sohn Boris abgelöst worden. Boris studierte Medizin. Die beiden anderen agierten als Techniker und standen außerdem parat, um im Falle eines Notfalls das Rettungsvehikel zu steuern.
»Hier ist es nicht wie auf den großen Stationen«, erklärte sie uns. »Aber wenigstens einmal in der Woche reist jemand an oder ab. Ihre Ankunft war sogar die dritte in den letzten fünf Tagen.« Miriam war groß und vielleicht ein wenig krumm, und sie wirkte auf mich wie jemand, der zu viel allein war. Später hörte ich, dass sie auf der Station aufgewachsen war, in einer Umgebung mit einer Gravitation von gerade 0,3. Ihre Muskulatur hatte sich nie an die Standardgravitation gewöhnen können, und als sie später damit hatte zurechtkommen müssen, hatte sie Probleme bekommen. Ihrer Familie, die offenkundig nicht allzu schlau war oder sich einfach nicht gekümmert hatte, gehörte die Station.
»Wir sind auf der Suche nach Tereza Urbanova«, sagte Alex. »Können Sie uns sagen, wo sie ist?«
»Oh, ja. Es ist eine Weile her, seit ich sie zum letzten Mal gesehen habe. Aber sie wohnt in Seeblick.« Sie zeigte uns eine Karte. »Wir können Sie mit dem Shuttle runterbringen, aber ich muss Sie warnen. Das ist nicht billig. Wenn Sie eine Landefähre haben, dann sollten Sie die nehmen.«
»Werden wir«, sagte Alex. »Was für ein Ort ist Seeblick?«
»Liegt auf einem Berg. Herrliche Aussicht, aber Sie werden dort trotz des Namens nicht viel Wasser zu sehen bekommen.«
»Okay.«
»Es ist eine kleine Anlage, ein Touristenort, natürlich. Tereza arbeitet dort. Hält Vorträge und ist als Veranstalterin für die meisten Partys und was weiß ich verantwortlich.«
»Hört sich an, als wäre da eine Menge los.«
»Na ja, ich weiß nicht, ob ich so weit gehen würde. Aber derzeit sind gerade ein paar Leute dort. Eine Gruppe von Literaturliebhabern. Sie sind gekommen, um das Filandia zu besuchen.«
»Was ist das Filandia?«, fragte ich.
Alex kannte normalerweise die Antworten auf derart abstruse Fragen, aber er überließ es Miriam, mich aufzuklären. Die wirkte angesichts unserer Unwissenheit milde belustigt. »Das ist das Hotel, in dem Racine Vales Über Bord geschrieben hat.«
Der Titel war mir bekannt, aber ich hatte keine Ahnung, worum es dabei ging.
»Das ist dieser große, revolutionäre Roman über die Bacchanalbewegung«, sagte Alex.
Ich wusste immer noch nicht …
»Das ist lange her, meine Liebe«, sagte Miriam. »Sechshundert Jahre. Aber es hat das Verhalten einer ganzen Zivilisation verändert. Es hat einen neuen moralischen Kodex aufgebracht und den Weg zu vollkommener geistiger Freiheit gewiesen.«
»Tu, was du tun willst«, sagte Alex, »solange dabei niemand zu Schaden kommt.«
»Genau«, stimmte sie zu. »Die Leute haben immer über Freiheit gesprochen, aber dann haben sie doch haufenweise Regeln aufgestellt. Stellen Sie sich nur vor, wie viel besser das Leben jedes Einzelnen wäre, würden wir unseren gesunden Menschenverstand benutzen, statt unser Leben nach stammesrechtlichen Tabus auszurichten.« Sie lachte. »Nun ja, genug davon. Weiß Tereza, dass Sie sie besuchen wollen?«
Sie wusste es in der Tat. Wir landeten im Außenbereich der Anlage, die aus dem Filandia, einem Vergnügungszentrum und einem halben Dutzend in einem großen Kreis angeordneter Hütten bestand. Alle sahen recht derb aus, was den Eindruck, man befände sich weit abseits jeglicher Zivilisation, noch verstärkte. (Als müsste man die Realität noch unterstreichen.) Die Anlage lag nicht auf einem Berggipfel, da der Berg eher ein überdimensionierter Hügel mit einer sanften, abgeflachten Kuppe war. Wenn man von diesem Gipfel fiel, war mit Verletzungen kaum zu rechnen, aber man würde wohl eine Weile rollen. Wir sahen ein paar Kinder Fangen spielen, und eine junge Frau trat aus
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