Firkin 05 - Fahrenheit 666
winzigen Obstfliege, die es sich auf der Rückenlehne einer Kirchenbank bequem machte). Pfarrer Götz warf eine große Decke auf die Steinfliesen und nahm trotz schmerzender Arthritis die für diese Yogaübung erforderliche Sitzhaltung ein. Laut Leitfaden sollte einem diese unnatürliche Position dabei behilflich sein, seine Gedanken auf das Wesentliche zu konzentrieren. Was Pfarrer Götz von Öl den Dritten betraf, so hegte er diesbezüglich allerdings einige Zweifel. Ebenso seine Knie.
Dennoch zweifelte er nicht im geringsten an der Wirksamkeit der mentalsuggestiven Gedankenübertragungsmethode und war sich sogar ganz sicher, daß sie funktionierte. Schließlich hatte es so im Leitfaden gestanden, und dort war noch von einer ganzen Menge anderer fabelhafter Dinge die Rede gewesen. So wußte er, daß er, wenn er die Neigung dazu verspürte und die notwendige Zeit und den Klebstoff dazu hatte, eine kleine fünfseitige Pyramide basteln konnte, um darin allein durch messerscharfes Nachdenken so viele stumpfe Rasierklingen zu schärfen, wie er wollte.
Er wußte auch, daß man, wenn man Pflanzen gut zuredete, um sie zum Wachsen zu ermutigen, völlig sinnlos seine Worte verschwendete und sich allenfalls den Unterkiefer ausrenkte. Die einzig wahre Methode, der Vegetation auf die Sprünge zu helfen, war nämlich, mit allen Gemüsesorten gewissermaßen querfeldbeet zu kommunizieren. Alles Notwendige dazu stand in Kapitel neunzehn: ›Farnkräuter, Knospen und Verstand.‹ [2]
Und so saß er nun hier mitten in der Kapelle von Sankt Nimmerlein, die nicht einmal die Ausmaße einer kleinen Lagerhalle hatte, und konnte es kaum abwarten, endlich zu beginnen. Mit einem letzten Schielen unter die Kirchenbänke schloß er die Augen, ließ die Gedanken schweifen und schlüpfte in das zerebrale Kostüm eines Rattenfängers. Den detaillierten Anweisungen des Leitfadens aufs Wort folgend, stellte er sich seinen Schädel als einen durchsichtigen Bienenkorb vor, in dem die Gedanken summend hin und her schwirrten. Und er stellte sich vor, daß es heißer wurde. Programmgemäß begannen die Wände des Bienenstocks erst zu glänzen, dann zu schmelzen und schließlich immer dünner zu werden. Die zerebralen Bienen summten lauter und jetzt auch aufgeregter, als kleine Rinnsale geschmolzenen Wachses die gewölbte Oberfläche hinunterliefen …
Und plötzlich tauchte ein Loch auf und gleich darauf eine einzelne neuronale Biene, die in der ausgelassenen Unbekümmertheit einer Imme vorbeihuschte. Im Nu war sie durch das Loch hindurchgeflogen, verschwunden und suchte, nur wenige Augenblicke vor dem Rest des Schwarms, nach sich mühsam ernährenden Nagetieren.
Hätte jemand die Aktivitäten von Pfarrer Götz von Öl dem Dritten beobachtet, wäre ihm wahrscheinlich nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Eigentlich war auch gar nichts Ungewöhnliches zu sehen, wenn man davon absah, daß er, leise vor sich hin stöhnend, mit nach außen gedrehten Handflächen im Lotussitz auf dem Boden saß. Mit Ausnahme des unheiligen rotbraunen Glühens, das von den ins Scheitelkäppchen eingewebten Goldborten ausging, mochte es einem leicht verziehen werden, wenn man annahm, daß er lediglich meditierte.
»Er meditiert nur!« erzürnte sich der gegenwärtige Eigentümer der beiden pechschwarzen Facettenaugen, während er hinter der Rückenlehne einer Kirchenbank hervorlugte. »Er meditiert nur. Verdammt und zugenäht! Ich bin schon wieder in einer Sackgasse gelandet!«
Mißmutig wandte sich die Fruchtfliege ab, dachte darüber nach, noch einmal von vorn anzufangen und zu einem Ort namens ›Platz eins‹ zurückzukehren. Die pure Verzweiflung hatte sie dazu gebracht, so weit draußen zu suchen. Drei Tage noch … und noch immer nichts Interessantes zu sehen. Die Obstfliege spuckte noch einmal wütend auf die Sitzbank und begab sich, mittlerweile ein wenig flügellahm, erneut auf die Suche.
Doch plötzlich wurde ihre Aufmerksamkeit auf ein kratzendes und schabendes Geräusch gelenkt. Sie blickte noch einmal zurück, und ihr gingen fast die Facettenaugen über, als sie ein gutes Dutzend Ratten in die Kapelle strömen sah, die mit kreischenden Krallen vor dem Pfarrer zum Stehen kamen. Nur Sekunden später gesellte sich mit aufgeregt peitschenden Schwänzen und zuckenden Schnauzhaaren eine kaum mehr überschaubare Menge anderer Nagetiere zu ihnen, deren Gedanken einzig und allein von der Tatsache beherrscht zu sein schienen, daß sie genau wußten, in diesem
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