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Firkin 1: Der Appendix des Zauberers

Firkin 1: Der Appendix des Zauberers

Titel: Firkin 1: Der Appendix des Zauberers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Harman
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fließt die Zeit nicht, sie bewegt sich in Bocksprüngen fort. Sie wußten nur eines: Sie konnten nicht mehr weiter, ihr Körper machte nicht mehr mit.
    »Puh! Hilft nichts: W-wir müssen w-weiter«, keuchte Hogshead und blickte mit weitaufgerissenen Augen zurück.
    »Immer mit der Ruhe. Im Moment sind wir sicher.«
    Hogshead sah ihn an.
    »Was?«
    »Solange es hell ist, kommt er nicht hinter uns her«, keuchte Firkin. »Kann er nicht.« Und dann sagte er noch, ganz leise und nur für sich: »Hat Franck wenigstens behauptet.«
    Sie lagen am Boden, keuchten, schnappten nach Luft und wurden allmählich ruhiger.
    Nach einiger Zeit rupfte Firkin einen Grashalm aus, steckte ihn in den Mund und kaute darauf herum. Dann wandte er sich um und stöberte seelenruhig in seinem Reisesack. Schließlich holte er das Kartenpäckchen heraus, zog Reineke, den Fuchs, aus dem Ärmel und steckte ihn vorsichtig zu den anderen Karten.
    Hogshead sah in verwundert an.
    »Du hast gemogelt?«
    »Nur ganz bißchen.«
    »Ich hab mir doch gleich gedacht, daß etwas nicht stimmen kann, wenn ich gewinne.«
    Firkin – den Grashalm zwischen den Zähnen – lächelte.
    »Tut mir leid. Aber du kannst ja zurückgehen, um die Sache klarzustellen.«
    Hogshead wurde bleich. Er sah Firkin an und schüttelte entgeistert den Kopf.
    Firkin grinste.
    »Du Mistkerl! Laß diese Witze!« Halb im Spaß und halb im Zorn schlug er Firkin so fest wie möglich auf den Arm. Dann legte er sich ins Gras und sah zum erstenmal seit langer Zeit wieder zum Himmel hinauf.
    »Weißt du«, sagte er nach ein paar Minuten, »eines versteh ich immer noch nicht.«
    »Mmm?«
    »Wie um alles in der Welt bist du eigentlich dahintergekommen, daß er ein Vampir ist?«
    »Letztendlich, mein lieber Hogshead« – Firkin piekte ihn mit dem Grashalm –, »letztendlich deswegen, weil an dem Essen, das er uns servierte, nicht der winzigste Hauch Knoblauch war.«

 
IV
GULDENBURG
     
     
    Tief im hintersten, finstersten Winkel des kalten Herzens von Guldenburg hielt sich ein dick aufgeblähter Klumpen Luft verborgen – warme, feuchte und klebrig-zähe Luft. Sie pulsierte, gleichmäßig und mächtig pulsten tiefe, beinahe grundlos tiefe Baßfrequenzen. Hätte sie Körperlichkeit besessen, sie hätte einen Bizeps gehabt, so dick wie ein Oberschenkel; hätte eine Vorliebe für nietenbeschlagenes Leder gehabt, für Hobbies wie Knüppelschwingen für Fortgeschrittene, wäre einer Teilzeitbeschäftigung als Schädelzertrümmerer nachgegangen und hätte sich gelegentlich in der Kunst der anatomischen Um- und Neugestaltung geübt. Sie hätte ein Erscheinungsbild geboten, so boshaft und gemein, daß selbst ausgewachsene menschenfressende Riesen sich heulend hinter den Rockschößen ihrer Mammi verkrochen hätten. Unnötig zu erwähnen, daß sie nicht immer so gewesen war. Einmal war sie gewesen wie alle anderen auch: ein unbeschwertes Lüftchen, das seinen Spaß daran hatte, den Menschen um die Füße zu wirbeln, mit ihren Haaren zu spielen und ab und an auch aus purem Übermut einen Schornstein abzudecken. Doch irgendwann einmal, nachdem die Ventilatoren in der Kneipe Zum Silbernen Spucknapf abgestellt worden waren – irgendwann damals hatte die Veränderung eingesetzt.
    Luft ist ein gar flüchtig Ding, so flatterhaft und unbeständig, daß ihr Charakter nicht sosehr durch Erziehung, sondern durch die Umwelt geformt wird. Und Umgebung färbt ab. Es ist aber auch nicht leicht, bestimmte Charaktereigenschaften bestimmter Menschen nicht anzunehmen, wenn man sich tief drinnen in ihren Lungenbläschen aufgehalten hat. Und als dann eben im Silbernen Spucknapf die Ventilatoren einpackten, in dieser Kneipe, dem bevorzugten Aufenthaltsort des miesesten Packs, das sich in Guldenburg herumtrieb, wo Banditen, Halsabschneider und Attentäter im Verein mit käuflichen Killern, Mördern und anderen wilden Kerlen tranken, aßen und spielten – welche Chance hatten da ein paar Liter unschuldige Luft?
    Sie wurde schnell groß, nachdem die Ventilatoren stillstanden. Die mangelnde Klimaanlage ermöglichte der Luft, ihre ganz besonderen, eigenen Anlagen zu entwickeln. Sie lernte, auf der Hut zu sein. Sie lernte zu rauchen und war jetzt vollgesogen mit Alkohol und anderen chemischen Zusatzstoffen. Sie war eine andere geworden, ein Wesen, auf das ihre Mutter nicht mehr stolz gewesen wäre. Sie war nicht mehr jenes unschuldig-unbeschwerte Lüftchen, das flatternd und raschelnd durch abgefallenes Herbstlaub strich. Sie

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