Firkin 1: Der Appendix des Zauberers
geformte Wachskerzen, Seifen mit pflanzlichen Aromastoffen, Honig und Marmelade in winzigen Gläschen, Döschen mit Badeöl … Tonnenweise brachten sie das Zeug an den Mann, alles handgearbeitet, alles made in Guldenburg. In einem raren Moment kreativer kommunalpolitischer Inspiriertheit initiierte der Bürgermeister die Gründung einer Genossenschaft der Kunsthandwerker von Guldenburg, durch die die Voraussetzungen für einen flächendeckenden Produktabsatz und eine gerechte Preispolitik geschaffen und garantiert wurden. Ein Vertriebsnetz wurde eingerichtet, und bald schon trugen alle Waren, die zum Verkauf kamen das HGB- Gütesiegel: Handwerk hat guldenen Boden.
Die Touristikbranche florierte, Guldenburg blühte und gedieh.
Wobei man genau darauf achtete, daß sich die Entwicklung der Stadt in streng geregelten Bahnen vollzog. Über die Gestaltung des Stadtbilds wachte das Amt für Denkmalpflege, um sicherzustellen, daß – wie es der Bürgermeister so bildhaft-anschaulich formuliert hatte – »unserem lieben Guldenburg sein altererbtes, anheimelndes Wesen erhalten bleibe« (womit vor allem der unter hygienischen Gesichtspunkten absolut indiskutable architektonische Wildwuchs rund um die Burg gemeint war).
Dieser Zustand hatte ein paar gute Jahre lang angedauert, und nicht wenige hatten während dieser fetten Jahre entsprechende Gewinne gemacht und selbst Fett angesetzt. Sie hatten es allmählich ruhiger angehen lassen, erheblich ruhiger, waren, um es genauer zu sagen, träge und faul geworden. Und hatten erst viel zu spät festgestellt, daß mittlerweile auch andere Städte ihre Profithochburgen hatten – Guldenburg hatte seine Vorrangsstellung verloren. Der Touristenstrom verebbte beängstigend. Die Einwohnerschaft versuchte tapfer, über die Tatsache hinwegzusehen, daß die Einnahmen dahinschwanden, und vertraute darauf, daß die Welt Guldenburg nicht vergessen werde. Die Welt hatte ihr dieses Vertrauen nicht gelohnt: Das Geld war immer weniger geworden, die Touristen noch weniger … Jetzt war die Stadt ein erbärmliches Gemeinwesen, bevölkert von verzweifelten Handlungsreisenden, Kriminellen, Meuchelmördern, Halsabschneidern, Versicherungsvertretern und so weiter und so weiter …
Wovon Firkin und Hogshead natürlich keine Ahnung hatten. Verglichen mit Khucaph war Guldenburg eine reiche und prächtige Stadt, eine glanzvolle, leuchtende Metropole.
Nach stundenlangem beschwerlichen Fußmarsch durchschritten die Jungen am frühen Abend das Stadttor von Guldenburg. Die zwei gewaltigen Torflügel aus morschem Holz hingen in vier Angeln, die mittlerweile hauptsächlich aus Rost bestanden.
Von diesem Tor (einer Konstruktion, die wundersamerweise immer noch erstaunlich stabil war) zog sich die Hauptstraße den Burgberg hinauf, die Via Malla [vii] , an der sich zu beiden Seiten Laden und Lädchen drängten. Dort, wo sich das hölzerne Tragwerk im Laufe der Jahre verworfen und verzogen hatte, hingen die Giebelseiten der Gebäude so weit über die Straße, daß die oberen Stockwerke das Tageslicht aussperrten. Es sah beinahe so aus, als hätte der Erbauer dieser Häuser jenen kurzen Moment, bevor zwei gewaltige, aufeinander zulaufende Wellen übereinanderstürzen, architektonisch in Fachwerk verewigen wollen.
Langsam marschierten die Freunde die Straße hinauf und studierten dabei die Schaufenster.
»Aaahh! Zwei Herren mit Kennerblick, wie mir scheint! Kritisch und qualitätsbewußt, wenn ich so sagen darf! Und doch meine ich feststellen zu müssen, daß Ihnen eines noch fehlt zu Ihrem Glück. Und eben dazu kann ich den Herren verhelfen. Hier: Beeindrucken Sie die Damenwelt durch makellos gepflegtes Auftreten in jeder Lebenslage!« Der Verkäufer drängte Hogshead ein Holzkästchen auf und demonstrierte ihm die Vorzüge des altbewährten Reisebegleiters für den Herrn, Motto Stets zur Hand und überall, selbst im schwersten Pflegefall!
Hogshead sah staunend zu, als ihm der Inhalt des Kästchens vorgeführt wurde: Nagelknipser, eine Nagelfeile, ein niedlicher Zahnstocher, ein Instrument, mit dem sich eingetretene Steinchen aus der Schuhsohle lösen ließen, Messer in dreifacher Ausführung, eine Schere …
»… alles griffbereit, bequem transportabel und platzsparend in diesem wundervollen, aus Holz gearbeitetem Reisenecessaire. Für Sie nur …«
»Komm jetzt endlich!« Firkin packte Hogshead am Arm und zog ihn weiter.
»Er hat schon eins«, teilte der im Weiterstolpern dem Verkäufer mit.
Dann, nur
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