Fischerkönig
verscheuchte sie mit einer ungeduldigen Bewegung seiner wulstigen Finger. »Wenn das jemanden was angeht, dann uns«, hielt Heiko dagegen. »Wir sind nämlich die ermittelnden Kommissare.« Sofort nahmen die dicklichen Züge einen devoten Ausdruck an, und der Mann hob relativierend die Hände. »Ou, da müsst ihr entschuldigen. Des kann mer ja net wissen. Es gibt ja so viel neugierige Leut heutzutag.« Lisa unterdrückte die Bemerkung, dass drei davon ja wohl hier saßen. Sie wunderte sich allerdings nicht im Geringsten, dass der Mord schon jetzt, etwa sechs Stunden nach seiner Entdeckung, ein Thema im Freibad war. Denn sie wusste seit ihrem ersten Mordfall um das Informantennetz, das immer dann in Aktion trat, wenn mehr oder weniger weltbewegende Neuigkeiten zu vermelden waren. Heiko stellte sich und Lisa vor, und die Stammtischler folgten seinem Beispiel. Aus den Augenwinkeln registrierte er außerdem, dass die Bedienung die Getränke an ihren ursprünglichen Tisch brachte. Der blonde Mittelscheitel hieß Mauser, der schwitzende Dicke Bittlinger und der Dritte, der bisher eher still gewesen war, nannte sich Wegner.
»Uns würde interessieren, von wem ihr gerade gesprochen habt?«, begann Heiko und lehnte sich mit herrschaftlicher Pose in den knarzenden Stuhl zurück. Die drei Herren wechselten einen Blick, bevor Wegner, ein älterer Herr mit gewaltigen silberfarbenen Koteletten, antwortete: »Es ging um die Lilli. Die Frau Hegenbach.« Heiko forderte ihn mit einem Wedeln seiner Hand zum Weiterreden auf. Der Mann sog hörbar die Luft ein und sprach dann weiter: »Ja, die Hegenbacher Lilli, die war mit dem Walter liiert.«
»Vor ewigen Zeiten«, gab Mauser zu bedenken und hob aufmerksamkeitsheischend den dürren Zeigefinger. »Vor 30 Jahren«, präzisierte er anschließend. Heiko zog die Augenbrauen hoch.
»Und?«
»Die Leute sagen, der Walter hätte Schluss gemacht. Und sie hätte trotzdem auf ihn gewartet. Immer. Die ganze Zeit.«
»30 Jahre lang, um genau zu sein«, fügte der Erste hinzu. Sogleich fühlte sich Lisa an das Lied ›En el muele de San Blas‹ erinnert, an die tragische, durchaus authentische Geschichte von einer jungen Frau, die an der Mole von San Blas auf ihren Geliebten wartet, der ihr ja versprochen hat, zurückzukommen. Sie wartet und wartet, aber er kommt nicht. Und sie wird darüber alt, aber sie verliebt sich in das Meer. Lisa musste immer heulen, wenn sie das Lied hörte, immer. Nur daran zu denken, verursachte ihr schon eine Gänsehaut. »Und warum?«, hakte Heiko nach.
»Die liebt ihn halt. Hat ihn geliebt«, meinte Mauser, und sein Blick bekam etwas Träumerisches.
Der Dicke schnalzte mit der Zunge. »Also bitte. So doof kann mer doch net sein!«
»Außerdem hat die fette Morgnerin sie ja immer noch angestachelt«, gab Bittlinger zu bedenken. »Inwiefern?«, fragte Heiko.
»Na, die hat immer auf die reingeschwätzt, dass sich der Walter schon noch besinnen wird und so. Die beiden sind beste Freundinnen.« Lisa runzelte die Stirn. Komisch, dass Frau Morgner davon gar nichts erwähnt hatte. Vielleicht aus gutem Grund? Sie wechselte einen Blick mit Heiko, der offenbar einen ähnlichen Gedanken hatte.
»Und die Irina?«, versuchte Heiko.
»Ja, mit der tät ich au mal gern!«, lachte Wegner und grinste dabei vielsagend. »Also, die ist wohl freiwillig bei ihm geblieben!«, gab Bittlinger zu bedenken. »Ich hab nämlich mal gehört, dass die Katalogtussis drei Jahre lang verheiratet sein müssen, bevor sie die deutsche Staatsbürgerschaft kriegen. Und darum geht’s ja den meisten.«
»Und die Sieglers waren schon wie lange zusammen?«, insistierte Heiko.
»Och. Vier Jahre? Fünf? Irgendwie so.« Die anderen bestätigten durch nachdenkliches Nicken. »Der hat sich um die Lilli überhaupt nicht mehr geschert. Und dann, so vor fünf Jahren, hatte er die Idee mit der Katalogfrau. Alt bin ich selber, hat er damals gesagt, dann will ich wenigstens eine Junge.«
»Der war ja auch sonst kein Kostverächter. Hat immer mitgenommen, was gegangen ist!«, schaltete sich nun Wegner wieder ein. Ein bisschen erinnerte er Lisa an Petrosilius Zwackelmann aus dem ›Räuber Hotzenplotz‹. »Hm«, machte Heiko. ›Hm‹ war die hohenlohische Universaläußerung und konnte einfach alles bedeuten. Geübten Hohenlohern erschloss sich die Bedeutung eines jeden ›Hms‹ aus den fein intonierten Nuancen, in denen es gesprochen oder gebrummt wurde. Auch Lisa war inzwischen besser darin geworden, die
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