Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
pflegt dabei eben kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Nun, ich glaube, ich verstehe seine Gründe, und mir soll es recht sein. Also, Fitz. Ich werde dir jetzt zeigen, weshalb der Stock, den du dir ausgewählt hast, zu lang für dich war und zu dick. Und dann nimmst du dir einen anderen.«
So geschah es, und anschließend führte sie mich langsam durch eine Übung, deren Bewegungsablauf mir unendlich kompliziert zu sein schien, doch am Ende der Woche war es ein solches Kinderspiel, wie meinem Pferd die Mähne zu flechten. Wir kamen gerade zum Schluss, als ihre übrigen Schüler eintrafen. Es waren vier, die zwar ein oder zwei Jahre jünger waren als ich, aber schon erheblich fortgeschrittener. Der Unterricht wurde durch die ungerade Zahl von Schülern nicht leichter, denn keiner wollte unbedingt den Neuen zum Sparringspartner haben.
Irgendwie brachte ich den Tag dann doch hinter mich, auch wenn das Wie hinter einem mildtätigen Schleier verborgen bleibt. Ich erinnere mich noch daran, wie mir alle Knochen wehtaten, als sie uns endlich gehen ließ; wie die anderen den Kiesweg entlang und zur Burg hinaufstürmten, während ich trübsinnig
hinterhertrottete und den Augenblick verwünschte, in dem der König auf mich aufmerksam geworden war. Es war ein langer Aufstieg zum Palas, und der Speisesaal war überfüllt und laut. Ich war zu müde, um noch viel zu essen. Soweit ich mich erinnere, begnügte ich mich mit Eintopf und Brot. Ich war bereits in Gedanken an die warme Geborgenheit der Stallungen wieder vom Tisch aufgestanden und unterwegs zur Tür, als ich von Brant angesprochen wurde.
»Dein Zimmer ist gerichtet«, war alles, was er sagte.
Ich warf einen verzweifelten Blick auf Burrich, aber der war in ein Gespräch mit seinem Nebenmann vertieft und bemerkte nichts von meiner Not. Also blieb mir einmal mehr nichts anderes übrig, als Brant zu folgen, was uns eine breite Steintreppe hinauf und in einen Teil der Burg führte, den ich noch nie erforscht hatte.
Auf einem Treppenabsatz blieben wir stehen. Er nahm dort einen Kandelaber von einem Tisch und zündete die Kerzen an. »Die königliche Familie bewohnt diesen Flügel«, gab er mir nebenbei zu verstehen. »Der König hat ein Schlafzimmer so groß wie ein Tanzsaal, es liegt am Ende dieses Korridors.« Ich glaubte blind alles, was er sagte, obwohl ich später herausfand, dass ein Laufbursche wie er höchstens davon träumen konnte, in den königlichen Flügel vorzudringen. Diese Ehre blieb bedeutenderen Lakaien vorbehalten. Dann ging es weiter eine zweite Treppe hinauf, und wieder blieb er stehen. »Besucher werden hier untergebracht«, erklärte er und gestikulierte so sehr mit dem Kerzenständer, dass seine Bewegungen die Kerzenflammen zum Flackern brachten. »Um genauer zu sein: Wichtige Besucher.«
Wir erklommen eine dritte Treppe, welche verglichen mit den
ersten beiden deutlich schmaler war. Beim nächsten Halt auf einem Treppenabsatz blickte ich mit zunehmender Furcht einer Flucht noch schmalerer, steilerer Stufen entgegen. Diesmal aber ging Brant nicht diesen Korridor entlang, sondern führte mich an eins, zwei, drei Türen einen neuen Flügel hinunter. An einer vierten Tür schob er den Riegel zurück und stemmte sich mit der Schulter dagegen. Sie ließ sich nur schwer öffnen. »Lange nicht benutzt worden, das Zimmer«, bemerkte er fröhlich. »Aber jetzt ist es deins, und du kannst es dir gemütlich machen.« Damit stellte er den Leuchter auf eine Truhe, nahm eine Kerze heraus und ging. Er zog die Tür hinter sich zu, und ich befand mich plötzlich allein im Halbdunkel eines großen, mir fremden Raums.
Irgendwie brachte ich es fertig, ihm weder nachzulaufen noch die Tür aufzureißen. Stattdessen nahm ich den Leuchter und zündete die Kerzen in den Wandhalterungen an. Vor der vereinten Macht der kleinen Flammen wichen die huschenden Schatten in die äußersten Winkel des Raumes zurück. Im Kamin brannte ein kümmerliches Feuer. Ich schürte es zaghaft, mehr wegen des Lichts als wegen der Wärme, und machte mich daran, mein neues Quartier zu erforschen.
Es war ein einfacher, quadratischer Raum mit einem einzigen Fenster. Nur an einer Wand milderte ein Gobelin die Nacktheit der Steinwände, die aus dem gleichen Granit beschaffen waren wie der Boden unter meinen Füßen. Ich hielt meine Kerze hoch, um ihn genauer zu betrachten, aber ihr Licht war zu schwach, um ihn ganz auszuleuchten. Zu erkennen waren nur ein schimmerndes geflügeltes Geschöpf,
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