Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
aus. Erneut fühlte ich das Vibrieren ihres Bewusstseins im Netz. Sie hatte die Macht. Nicht stark, aber stark genug.
Leise verließ ich das Gemach. Ich geriet ins Schmunzeln bei der Vorstellung, was Burrich sagen würde, wenn er davon wüsste. Viel weniger amüsant war es, mich daran zu erinnern, wie sie auf mein
Spüren mit der Macht reagiert hatte. Ich dachte an meine nächtlichen Jagdausflüge mit dem Wolf. Würde die Königin dem nächst über merkwürdige Träume klagen?
Mit einem Mal lief es mir kalt den Rücken hinunter: Ich schwebte in größter Ge fahr, entdeckt zu werden. Ich war zu lange zu unvorsichtig gewesen. Allein schon Burrich konnte es fühlen, wenn ich mich der Macht bediente. Was, wenn es noch andere gab? Man konnte mich der Tiermagie beschuldigen. Ich konnte nicht länger zögern, mein Entschluss stand fest. Morgen würde ich handeln.
KAPITEL 11
EINSAME WÖLFE
D er Narr wird immer eins von Bocksburgs größten Geheimnissen bleiben. Man kann guten Gewissens sagen, dass so gut wie keine Fakten über ihn bekannt sind. Seine Herkunft, Alter, Geschlecht, Rasse waren samt und sonders Gegenstand von Vermutungen. Am erstaunlichsten ist, wie eine Person, die dermaßen im Blickpunkt stand, sich eine solche Aura des Geheimnisvollen zu bewahren vermochte. Die Fragen, den Narren betrefend, werden immer zahlreicher sein als die Antworten. Besaß er je wirklich irgendwelche mystischen Kräfte, die Gabe der Hellseherei oder überhaupt magische Fähigkeiten, oder erweckten nur sein flinker Verstand und die spitze Zunge den Anschein, dass er alles schon wusste, bevor es geschah? Wenn er kein Hell seher war, verstand er sich doch meisterhaft auf Spiegelfechtereien und brachte viele von uns dazu, ihm zu helfen, die Zukunft so zu gestalten, wie er es für richtig hielt.
Weiß auf Weiß. Ein Ohr zuckte, und diese winzige Bewegung verriet alles.
Siehst du?, fragte ich ihn.
Ich rieche.
Ich sehe. Ich fasste die Beute ins Auge. Mehr war nicht notwendig.
Ich sehe. Er sprang. Das Ka ninchen schrak auf und stob da von, Cub ihm nach. Während Cub nach jedem Sprung einsank flitzte die weiße Pelzkugel über den weichen Schnee, schlug wilde Haken um den Baum, um das Gebüsch herum und schließlich mitten hinein in die Dornen. Cub schnüffelte erwarftungsvoll hinterher, aber für ihn war das Gestrüpp ein undurchdringlicher Verhau.
Es ist weg, erklärte ich.
Wirklich? Warum hast du mir nicht geholfen?
Ich kann in weichem Schnee kein Wild verfolgen. Ich muss mich so dicht anschleichen, dass ein Sprung genügt.
Ah. Begreifen. Überlegen. Wir sind zu zweit. Wir sollten als Paar jagen. Ich treibe dir das Wild zu, du tötest es.
Ich schüttelte den Kopf. Du musst lernen, allein zu jagen, Cub. Ich werde nicht immer bei dir sein, weder in Gedanken noch in der Wirklichkeit.
Ein Wolf ist nicht dazu bestimmt, allein zu jagen.
Mag sein. Aber viele tun es. Und auch du wirst es lernen. Doch es war nicht meine Absicht, dass du gerade mit Kaninchen anfangen sollst. Komm weiter.
Er trabte widerspruchslos hinter mir her; für ihn war ich der Leitwolf und bestimmte die Richtung. Wir hatten die Burg verlassen, bevor auch nur der erste graue Morgenschimmer den Winterhimmel erhellte, der sich jetzt blau und weit und klar und frostig über uns spannte. Der Weg, dem wir folgten, war nicht mehr als eine weiche runde Rinne im tiefen Schnee. Bei jedem Schritt sank ich bis über die Knö chel ein. Im Wald ringsum herrschte winterliche Stille, hin und wieder durchbrochen vom Flügelschlag eines Vogels oder dem weit entfernten Ruf einer Krähe. Es war junger Wald, der nach einem Feuer schnell hochgewachsen war; dazwischen ragten einige der Baumriesen empor, die das Inferno überlebt hatten. Sommers gab es hier gute Weide für die Ziegen; und
ihre scharfen kleine Hufe waren es auch, die den Pfad ausgetreten hatten, dem wir folgten. Er führte zu ei ner baufälligen Hütte aus Feldsteinen, mit einem Pferch und Unterstand für die Herde. Im Winter stand alles leer.
Cub war hocherfreut gewesen, als ich in der Frühe kam, um ihn zu holen. Er hatte mir den Weg gezeigt, den er benutzte, um ungesehen aus der Burg hinauszugelangen. Ein altes Viehgatter, das seit langem zugemauert war, diente ihm als Hintertür. Durch Erdverschiebungen war ein Riss entstanden, der groß genug für ihn war, und der flachgedrückte Schnee verriet mir, dass er ihn oft benutzt hatte. Einmal außerhalb der Mauern, bewegten wir uns wie Schatten durch das auf
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