Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
allein die Verantwortung für mein Handeln. So wirkte sogar der sonnenhelle Nachmittag weit düsterer auf mich als die Dunkelheit vor Tagesanbruch. Ich versuchte mir einzureden, dass ich keinen Grund hatte, mich zu schämen. Ich hatte getan, was notwendig war. So wie bei Vi rago. Nicht daran denken. Nein. Cub würde sich an das neue Leben gewöhnen. In der Freiheit war er besser aufgehoben als bei mir. Was für ein Dasein wäre das gewesen für dieses Geschöpf der Wild nis, sich im Revier des Menschen herumzudrücken, immer in Gefahr, entdeckt zu werden, ob von Hunden, von Jägern oder nur durch einen Zufall? Vielleicht war er allein, vielleicht war er einsam, doch er war frei. Ich fühlte mich versucht, in die Weite zu spüren, ob ich ihn vielleicht noch wahrnehmen konnte, um sein Bewusstsein zu erreichen; doch ich blieb standhaft und errichtete einen gedanklichen Schutzwall. Die Trennung sollte endgültig sein. Er würde mir nicht folgen. Nicht, nachdem ich ihn mit solcher Entschiedenheit zurückgestoßen hatte. Nein. Ich stapfte weiter und widerstand dem Impuls, über die Schulter zurückzublicken.
Wäre ich nicht so tief in Gedanken versunken, so sehr da rauf bedacht gewesen, mich in mir selbst zu verschanzen, dann hätte mich vor dem Kommenden vielleicht eine Warnung erreicht. Doch ich bezweifle es. Die Macht war mir nie eine Hilfe gegen Entfremdete gewesen. Ich weiß nicht, ob sie mich verfolgt hatten oder ob ich nichtsahnend an ihrem Versteck vorbeimarschiert war, - jedenfalls kam ihr Angriff für mich aus heiterem Himmel. Etwas Schweres prallte gegen meinen Rücken, und ich fiel vornüber in den Schnee.
Zuerst dachte ich, es wäre Cub, der ei nen Machtkampf ausfechten wollte. Ich rollte beiseite, und fast wäre es mir gelungen auf Distanz zu gehen, als ein anderer nach meiner Schulter griff. Es waren Entfremdete, drei Män ner, einer jung, zwei groß und frü her einmal wohl sehr mus kulös. Mein Verstand registrierte alles sehr schnell und genau, als wäre dies eine von Chades Übungen. Einer der Breitschultrigen hielt ein Messer gezückt, die beiden anderen hatten Knüppel. Sie trugen zerrissene und schmutzige Kleider. Ihre Haut war von der Kälte gerötet und schorfig, ihre Bärte verfilzt, ihr Haar struppig. Sie hatten Blutergüsse und Platzwunden im Gesicht - Spu ren von Auseinandersetzungen untereinander, oder hatten sie vor mir schon jemanden überfallen?
Ich riss mich los und sprang zurück, um so viel Abstand wie möglich von ih nen zu gewinnen. Das Gürtelmesser war mei ne einzige Waffe; in der An nahme, es gäbe kei ne Entfremdeten mehr in der Nähe von Bocksburg, hatte ich mich für eine Situation wie diese nicht gerüstet. Meine Angreifer wichen auseinander und bildeten dann einen Kreis um mich. Dass ich mein Messer zog, schien sie nicht weiter zu kümmern.
»Was wollt ihr? Meinen Umhang?« Ich öffnete die Spange und ließ ihn fallen. Einer folgte ihm mit den Bli cken, doch keiner stürzte sich darauf, wie ich ge hofft hatte. Ich wandte mich einmal hierhin, einmal dorthin, um sie alle im Auge zu behalten und zu verhindern, dass mir einer von ih nen aus dem Blick feld geriet. »Handschuhe?« Ich streifte sie ab und warf beide dem Jüngeren zu. Er ließ sie unbeachtet zu Boden fallen.
Noch waren die drei offenbar unschlüssig, bewegten sich hin und her, traten von einem Fuß auf den anderen und beobachteten aus ihren schmalen Augen jede mei ner Bewegungen. Keiner war erpicht darauf, den Anfang zu machen. Da war das Messer in meiner Hand. Der Erste, der sich auf mich stürzte, würde den blanken
Stahl zu schmecken bekommen. Ich bewegte mich auf eine Lücke in ih rem Kreis zu. Sie rückten nach, um mir den Weg abzuschneiden.
»Was wollt ihr?«, brüllte ich sie an und drehte mich, um sie der Reihe nach anzusehen. Für einen Moment schaute ich einem von ihnen geradewegs in die Augen. Seine Augen waren leer. Nicht einmal Cubs ehrliche Wildheit war da rin zu finden, nur das dumpfe Elend von körperlichen Beschwerden und Entbehrungen. Ich starrte ihn an, und er blinzelte.
»Fleisch.« Er stieß es hervor, als hätte ich das Wort aus ihm herausgepresst.
»Ich habe kein Fleisch, überhaupt nichts zu essen. Von mir könnt ihr nichts bekommen, außer einem Kampf!«
»Du«, grunzte einer seiner Spießgesellen und ließ etwas wie ein schnaufendes Lachen folgen, das genauso freudlos wie herzlos klang. »Fleisch!«
Ich stutzte, was ein Augenblick der Unaufmerksamkeit war, denn schon sprang mich ei ner
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