Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
mich zu sammeln und ein unbeteiligtes Ge sicht aufzusetzen. Plötzlich wurde die Tür gegenüber aufgerissen und Edel trat schwungvoll auf den Gang hinaus, - mit so viel Schwung, dass er mich anrempelte. Bevor ich mich fangen konnte, meinte er großartig: »Ist schon gut, Fitz, ich erwarte keine Entschuldigung von jemandem, der gerade einen so schmerzlichen Verlust erlitten hat.« Seine aus drei jungen Männern bestehende Gefolgschaft war ihm auf den Flur gefolgt. Sie standen hinter ihm und kicherten spöttisch. Er schaute sich lächelnd nach ihnen um, dann beugte er sich zu mir vor und fragte mit gedämpfter, honigsüßer Stimme: »An welche welke Brust wirst du dich jetzt schmiegen, wo die alte Hure Quendel tot ist? Nun ja, ich bin sicher, es findet sich ein anderes altes Weib, um dich zu hätscheln. Oder hast du es jetzt auf eine Jüngere abgesehen?« Er besaß die Unverfrorenheit, mir ein anzügliches Lächeln zu schenken, dann fuhr er auf dem Absatz herum
und schritt sichtlich zufrieden von dannen, gefolgt von seinen drei Speichelleckern.
Mich packte die blinde Wut, dass er es gewagt hatte, die Königin zu beleidigen, und diese überfiel mich mit solcher Plötzlichkeit, wie ich es nie zuvor erlebt hatte. Eine furchtbare Kraft durchströmte meinen Körper, und ich spürte, wie sich meine Oberlippe wie in Parodie eines wölfischen Zähnefletschens in die Höhe zog. Aus der Ferne spürte ich: Was? Was ist es? Töte! Töte! Töte! Ich tat einen Schritt nach vorne und konnte mich kaum zu rückhalten. Ich bin mir sicher, dass ich ihm meine Zähne in die Halsbeuge geschlagen hätte …
Aber - »FitzChivalric«, sagte eine überraschte Stimme.
Mollys Stimme. Ich dreh te mich zu ihr he rum. Im Bruch teil einer Sekunde war meine Wut in helle Freude umgeschlagen. Doch sogleich senkte sie den Blick. »Vergebung, Herr.« Sie drückte sich mit gesenktem Kopf an mir vorbei. Wie eine Dienstmagd.
»Molly?« Unwillkürlich machte ich eine Bewegung, um ihr zu folgen. Sie blieb ste hen und schaute zurück. Weder ihre Mie ne noch ihre Stimme verrieten, was in ihr vorging.
»Ja, Herr? Habt Ihr einen Auftrag für mich?«
»Einen Auftrag?« Natürlich. Ich sah mich um, aber wir wa ren allein. Kühn trat ich einen Schritt auf sie zu und dämpfte meine Stimme, so dass nur sie mich hö ren konnte. »Nein, aber ich habe dich so vermisst. Molly, ich …«
»Dies geziemt sich nicht, Herr. Ich bitte Euch, lasst mich gehen.« Sie wandte sich stolz und überlegen von mir ab und schritt den Flur hinunter zur Treppe.
»Was habe ich getan?«, verlangte ich aufgebracht zu wissen. Ihr Verhalten war mir ein Rätsel. Eigentlich rechnete ich nicht mit einer Antwort, aber sie blieb stehen. Ich starrte auf ihren blaugekleideten Rücken. Er war kerzengerade, und ihr Nacken war steif. Sie
sprach in den leeren Korridor hinein. »Nichts. Nichts habt Ihr getan, Herr. Absolut gar nichts.«
»Molly!«, begehrte ich auf, aber sie war schon um die Ecke gebogen und fort. Ich starrte ihr hinterher, bis mir plötzlich bewusst wurde, dass ich einen merkwürdigen Laut von mir gab, der halb wie ein Winseln, halb wie ein Knurren klang.
Lass uns jagen.
Vielleicht. Die Versuchung war groß. Das wäre das Beste. Zu jagen, zu töten, zu schlafen. Und ganz allein das.
Und warum nicht jetzt gleich?
Ich weiß es nicht.
Ich kehrte wieder zu Kettrickens Tür zurück und klopfte an. Die kleine Rosemarie öffnete mir und begrüßte mich mit einem Lächeln. Gleich bei mei nem Eintreten sah ich, aus wel chem Grund Molly hier gewesen war. Kettricken hielt eine dicke grüne Kerze an die Nase und atmete den Duft ein, weitere standen auf dem Tisch.
»Myrica«, bemerkte ich.
Kettricken blickte lächelnd auf. »FitzChivalric. Willkommen. Nimm Platz. Darf ich dir etwas zu essen anbieten? Wein?«
Ich stand da und schaute sie an. Was für eine Veränderung. Ich fühlte ihre Kraft und spürte ihre Geistesgegenwart, mit der sie ganz in sich ruh te. Sie trug eine Tu nika über ei ner eng an liegenden Hose aus Woll stoff, die beide grau wa ren, und ihr Haar war frisiert wie immer. An Schmuck hatte sie nur eine Kette aus blauen und grünen Steinperlen umgelegt. Dies war nicht die Frau, die ich vor ein paar Tagen auf dem Rücken eines Maultiers in die Burg zurückgebracht hatte. Jene Frau war trau rig, zornig, verletzt und verwirrt gewesen. Diese Kettricken verströmte heitere Gelassenheit.
»Hoheit«, begann ich zögernd.
»Kettricken«, berichtigte sie mich ruhig. Sie ging im
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