Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
Mäuse zuerst, dann größeres Wild ...
Du verrätst mich. Du verrätst das Rudel.
Nein. Wir gehören nicht zusammen. Ich lasse dich frei, Cub. Wir kommen uns zu nahe, das ist nicht gut, für keinen von uns. Von Anfang an habe ich dir gesagt, dass ich kei nen Bund mit dir schließen werde.
Wir dürfen uns nicht gegenseitig so stark beeinflussen. Es ist besser für dich, alleine fortzuziehen, um zu leben, wie es dir bestimmt ist.
Mir ist bestimmt, einem Rudel anzugehören. Er bannte mich mit seinem starren Blick. Willst du mir sagen, es gibt Wölfe in der Nähe, solche, die einen Eindringling in ihrem Revier dulden und in ihr Rudel aufnehmen werden?
Ich musste zur Seite schauen. Nein. Es gibt hier keine Wölfe. Man müsste viele Tage wandern, um einen Ort zu erreichen, wo noch Wölfe frei umherstreifen.
Was gibt es dann hier für mich?
Nahrung. Freiheit. Dein eigenes Leben, unabhängig von mir.
Einsamkeit. Er zeigte mir die Zähne, dann ging er in ei nem weiten Kreis um mich herum zur Tür. Menschen, hörte ich bitter. Auf der Schwelle blieb er stehen und sah über die Schulter zu mir zurück. Menschen sind es, die glauben, sie könnten anderer Leben beherrschen, ohne sich mit ihnen zu verbinden. Denkst du, einen Bund zu schließen oder nicht, das ist allein deine Entscheidung? Mein Herz gehört mir. Ich gebe es, wem ich will. Ich gebe es aber keinem, der mich von sich stößt. Ich werde auch keinem gehorchen, der Rudel und Bruderschaft leugnet. Hast du geglaubt, ich bleibe hier, um in diesem Menschenbau herumzuschnüfeln und die Mäuse zu fressen, die kommen, um sich von ihren Resten zu ernähren? Um wie die Mäuse ein Schmarotzer zu sein? Nein. Wenn wir nicht Rudelbrüder sind, dann schulde ich dir gar nichts, am allerwenigsten Gehorsam. Ich werde nicht hierbleiben. Ich werde leben, wie es mir gefällt.
Darin lag ein schlauer Unterton. Er verbarg etwas, doch ich erriet, was es war. Du kannst tun, was du willst, Cub, nur eins nicht. Du darfst mir nicht zurück nach Bocksburg folgen. Ich verbiete es.
Du verbietest? Du verbietest? Verbiete dem Wind, um dein steinernes Haus zu wehen, oder dem Gras, in der Erde zu wachsen, die es umgibt. So viel Recht hast du. Du verbietest.
Er schnaufte verächtlich und wandte sich von mir ab. Ich nahm alle Willenskraft zusammen und sprach ein letztes Mal zu ihm. »Cub!«, sagte ich mit meiner Menschenstimme. Verblüfft drehte er sich wieder herum. Der Ton, in dem ich gesprochen hatte, veranlasste ihn, die Oh ren zurückzulegen. Er wollte mir trotzig die Zähne zeigen, doch ich kam ihm zuvor und drang mittels meiner Gabe auf ihn ein. Es war etwas, das ich schon immer gekonnt hatte, so wie man instinktiv die Hand vor der Hitze der Flamme zurückzieht. Allerdings machte ich nur selten davon Gebrauch, denn Burrich hatte die Kraft einmal gegen mich gewendet, und ich traute ihr nicht im mer. Diesmal war ich nicht so be hutsam mit Cub wie damals, als er im Käfig saß. Mei ne Sinnesattacke traf ihn wie ein körperlicher Angriff. Er machte einen weiten Satz nach hinten, dann stand er mit gespreizten Beinen und fluchtbereit im Schnee. Seine Augen waren vor Schrecken weit geöffnet.
»GEH!«, schrie ich ihn an, Menschenwort, Menschenstimme und gleichzeitig drang ich erneut mit aller Macht auf ihn ein. Er floh vor lauter Panik mit schwerfälligen Sätzen und Sprüngen durch den tie fen Schnee. Ich hielt mich zu rück und folgte ihm nicht nach, auch um si cherzugehen, dass er nicht noch ein mal stehenblieb. Nein. Es war vorbei. Was ich da getan hatte, war mehr, als mich nur von ihm zurückziehen. Ich hatte jede Verbindung zwischen ihm und mir endgültig durchtrennt. Doch wäh rend ich auf die Stelle im Unterholz starrte, wo er verschwunden war, fühlte ich eine innere Leere, die wie ein brennendes Prickeln von etwas war, das nicht mehr da ist und das einem fehlt. Vergleichbares habe ich von Leuten gehört, denen ein Glied ih res Körpers amputiert wurde. Das Suchen des Körpers nach einem Teil, der unwiederbringlich verloren ist.
Ich verließ die Hütte und begann den Marsch nach Hause. Je weiter ich ging, desto größer wurde der Schmerz. Es war kein körperlicher
Schmerz, aber ein besserer Vergleich fällt mir nicht ein. Er glich einem Gefühl, das sich so roh und nackt anfühlte, als hätte man mir die Haut abgezogen und das Fleisch von den Kno chen. Es erschien mir schlimmer als damals, als Burrich mir Nosy wegnahm, denn dieses Mal hatte ich es mir selbst zugefügt und trug ganz
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