Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
beiden Händen. »Wenn du jetzt gehst, kommst du im mer noch zur rechten Zeit. Kein Schiff ist ausgelaufen, keine Soldaten sind ausgeritten. Es wurde nichts unternommen, und es wird nichts unternommen, das ist der Stand.
Du weißt, ich habe nichts übrig für Gerede, aber hinter der vorgehaltenen Hand wird geflüstert, Prinz Edel hätte Bescheid gewusst. Als der Junge kam, oh, der Prinz zeigte sich voller Güte und Mitgefühl, er rührte die Damen wahrlich zu Tränen. Der Junge bekam ein Essen, ein neues Wams und einen kleinen Beutel für seine Mühe. Aber er sagte dem Jungen, es wäre jetzt zu spät, die Korsaren längst in der Weite des Meeres verschwunden. Wozu also noch ein Schiff aussenden oder Militär?«
»Zu spät vielleicht, um die Pi raten zu verfolgen. Aber was ist mit den Bürgern von Holüber? Sie brauchen Arbeiter, die ihnen bei den Aufräumungsarbeiten hel fen und einige Wagenladungen mit Lebensmitteln …«
»Unser Prinz sagte, dafür wäre kein Geld vorhanden.« Sarah stieß jedes Wort davon einzeln hervor. Sie fing an, den Teig in Portionen aufzuteilen und die Bällchen zum Aufgehen nebeneinanderzulegen. »Er sag te, der Staatsschatz wäre für den Bau der Schiffe aufgebraucht worden, um sie auszurüsten und zu bemannen. Er sagte, Veritas hätte das Wenige, das noch übrig war, eingesetzt für seine Expedition zu den Uralten.« Sie legte eine unsägliche Verachtung in dieses letzte Wort. Dann wischte sie sich die
Hände an der Schürze ab. »Zum Schluss sagte er, es täte ihm leid. Aufrichtig leid.«
Eine kalte Wut ergriff von mir Besitz. Ich streichelte Sarah über die Schulter und bat sie, sich keine Sorgen zu machen. Wie benebelt verließ ich die Küche und ging zu Veritas’ Arbeitszimmer. Dort angekommen, blieb ich einen Moment stehen, um mich zu besinnen. Da spürte ich Veritas’ Absicht kurz aufblitzen: Ganz hinten in einer Schublade … dort befand sich ein Smaragdkollier, bei dem jeder Stein in Gold gefasst war. Es hatte seiner Mutter gehört, und der Erlös daraus würde reichen, um Männer anzuwerben und mit Hilfsgütern nach Holüber in Marsch zu setzen. Ich stieß die Tür auf, trat ein und blieb gleich wieder stehen. Veritas war alles andere als ord nungsliebend, und er hatte in aller Eile gepackt. Außerdem war Charim, der sonst hinter ihm aufzuräumen pflegte, mit ihm gegangen. Was ich vorfand, trug die Handschrift weder des einen noch des anderen.
Einem Unbeteiligten wäre es vermutlich nicht aufgefallen, doch ich sah den Raum sowohl mit meinen als auch mit Veritas’ Augen. Er war durchsucht worden. Wer im mer da für verantwortlich zeichnete, ihm war entweder gleichgültig gewesen, ob es je mand bemerkte, oder er kannte Veritas nicht sonderlich gut. Jede Schublade war säuberlich zugedrückt, jede Schranktür geschlossen. Der Stuhl war genau unter den Schreibtisch geschoben. Alles war viel zu akkurat. Ohne große Hoffnung ging ich zu der Schublade und machte sie auf. Ich bückte mich und spähte bis in ihre hinteren Winkel. Vielleicht hatte sich Veritas’ Unordentlichkeit einmal als nützlich erwiesen. Ich fand einen alten Sporn, eine durchgebrochene Gürtelschnalle und eine Geweihzacke, an der jemand angefangen hatte herumzuschnitzen, und noch allerlei weiteren Kram dieser Art- auch ich wäre von allein nicht auf die Idee gekommen, dazwischen ein Smaragdkollier zu suchen. Aber da war es, eingewickelt
in ein Stück Stoff. Es gab im Zim mer noch etliche andere kostbare Gegenstände, von de nen Veritas wollte, dass ich sie an mich nahm. Während ich sie einsammelte, wuchs meine Verwirrung. Wenn man diese nicht gestohlen hatte, worauf konnte man es dann abgesehen haben?
Methodisch sortierte ich ein Dutzend Landkarten aus und nahm einige andere von den Wänden ab. Als ich mich daran machte, sie sorgfältig zusammenzurollen, kam Kettricken leise herein. Die Macht hatte mich auf sie aufmerksam gemacht, noch bevor ihre Hand die Tür berührte, deshalb hob ich ohne Überraschung den Kopf und schaute ihr entgegen. Veritas’ Gefühle brandeten durch mich hindurch, aber ich ließ mir nichts anmerken. Ihr Anblick schien seine Gegenwart in mir zu stärken. Sie war bezaubernd mit ihrer hellen Haut und in ihrem schmalen Gewand aus weicher blauer Wolle. Ich hielt den Atem an und wandte den Blick ab.
»Veritas wollte, dass sie weggeräumt werden. Feuchte Luft schadet ihnen, und hier wird nur selten einmal Feuer gemacht, wenn er nicht da ist.« Ich schob die Karte in eine
Weitere Kostenlose Bücher