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Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote

Titel: Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Absicht? Vielleicht will er sich nur bei ihr einschmeicheln. Es ist kein Ge heimnis, dass sie oben in der Burg verkümmert. Oh, sie ist zu allen freundlich und beklagt sich nicht, doch ihr mangelt an Ta lent, sich zu ver stellen, und man sieht es ihr an, dass sie nicht glücklich ist.«
    »Mag sein.« Dann hob ich ruckartig den Kopf, nicht anders als
ein Hund, der seinen Herrn pfeifen hört. »Ich muss gehen. Kronprinz Veritas …« Ich verlor kein weiteres Wort darüber. Burrich musste nicht wissen, dass ich mittels der Gabe gerufen worden war. Ich warf mir die Satteltasche mit der sorgfältig angefertigten Kopie der Schriftrolle über die Schulter und schlug den Weg zu den herrschaftlichen Gemächern ein.
    Ohne erst die Kleider zu wechseln oder mich auch nur am Herdfeuer in der Küche aufzuwärmen, stieg ich so fort die Treppe zu Veritas’ Kartenzimmer hinauf. Die Tür stand einen Spalt offen. Ich klopfte nur einmal und trat ein. Veritas beugte sich über eine auf seinem Tisch ausgebreitete Karte und hob kaum den Blick. Wohltemperierter Wein sowie eine verlockende Speiseplatte mit Brot und kaltem Fleisch standen auf einem Tisch vor dem Kamin für mich bereit. Nach einer Weile richtete er sich auf.
    »Deine gedankliche Abschirmung ist zu gut«, meinte er statt einer Begrüßung. »Seit drei Tagen versuche ich, dich zur Eile anzutreiben, und wann merkst du dann endlich, dass du gerufen wirst? - Wenn du in mei nem eigenen Pferdestall stehst! Ich sage dir, Fitz, wir müssen wohl noch ei nige Zeit finden, dir beizubringen, mit der Gabe umzugehen.«
    Noch während er sprach, wusste ich, dass wir diese Zeit niemals finden würden. Zu viele andere Dinge erforderten seine Aufmerksamkeit. Wie immer kam er ohne Umschweife auf sein Anliegen zu sprechen. »Entfremdete«, sagte er. Mir lief ein Frösteln über den Rücken.
    »Die Roten Korsaren haben wieder zugeschlagen? Mitten im Winter?«, fragte ich ungläubig.
    »Nein. Das wenigstens ist uns bislang erspart geblieben. Doch wie es scheint, können die Roten Korsaren heimwärts segeln und an ihren Feuern sitzen, und trotzdem bekommen wir ihr schleichendes Gift zu spüren.« Er machte eine Pause. »Nun gut. Wärm
dich erst mal auf und iss. Du kannst auch mit vollem Mund zuhören.«
    Während ich mich am Wein und den Speisen stärkte, setzte Veritas mich über den Stand der Dinge ins Bild. »Es ist so wie frü her schon. Berichte von Ent fremdeten, die rauben und zerstören. Aber diesmal trifft es nicht nur Reisende, sondern auch einsam gelegene Höfe und Häuser. Ich habe nachgeforscht und muss den Be richten Glauben schenken. Doch die Überfälle finden weit entfernt von den Schauplätzen der Raubzüge der Korsaren statt, und in allen Fällen behaupten Überlebende und Zeugen, es wä ren nicht ein oder zwei Ent fremdete gewesen, die über sie ka men, sondern organisierte Banden.«
    Ich musste zuerst den Bissen herunterschlucken, den ich im Mund hatte, bevor ich meine Meinung äußern konnte. »Ich glaube nicht, dass Entfremdete dazu fähig sind, in irgendeiner Weise organisiert zu handeln. Wenn man ih nen begegnet, stellt man fest, dass es ihnen an jeglichem Ge meinschaftssinn fehlt. Sie kön nen reden und denken, aber alles bezieht sich nur auf sie selbst. Man muss sich das so vorstellen, als ob Viel fraße sprechen könnten. Für sie zählt nichts, außer ihrem eigenen Überleben. Alles andere sehen sie lediglich als Rivalen um Nahrung oder sonstige Beute.« Ich füllte meinen Becher nach, denn der gewärmte Wein tat mir gut. Zumindest vertrieb er die Kälte aus meinem Körper. Die innere Kälte, die mich bei der Erinnerung an die trostlose Isolation der Entfremdeten überkam, vermochte er allerdings nicht zu lindern.
    Die Alte Macht hat te mir zu diesem Wissen über die Ent fremdeten verholfen. Sie hatten so wenig Leben in sich wie wandelnde Leichen, abgesehen davon, dass ich sie mit mei nem speziellen Sinn überhaupt wahrzunehmen vermochte. Die Macht gewährte mir in gewissem Maß Zugang zu dem allumfassenden Netz, das alle Kreaturen verbindet, aber die Entfremdeten waren nicht
länger Teil davon, sondern herausgetrennt aus dem Gewebe, und erwiesen sich als gierig und mitleidslos wie ein seelenloser Sturm oder ein über die Ufer tretender Fluss. Einem Entfremdeten zu begegnen war für mich so überraschend, als hätte sich irgendein Stein erhoben, um mich anzugreifen.
    Veritas jedoch nickte darüber nur gedankenvoll. »Auch Wölfe jagen in Rudeln. Reißfische stürzen

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