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Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier

Titel: Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Übereinstimmungen derart frappierend, dass es sich offensichtlich um dasselbe Thema handelt, welches von verschiedenen Völkern nur in unterschiedliche Gewänder gekleidet wurde. Das eindeutigste Beispiel dafür ist die Geschichte »Der Sohn der Witwe und der Fliegende Stuhl«. Im Bergvolk wird daraus »Der Fliegende Schlitten des Waisenjungen«. Doch wer könnte sagen, wo die Geschichte zuerst erzählt wurde?
    Von den Menschen im Bergreich wird man erfahren, dass es sich bei einigen der staunenswerteren Statuen, die man in ihren Wäldern findet, um die Hinterlassenschaften dieses vergessenen Volkes handelt. Auch kleinere Errungenschaften werden ihm zugeschrieben, wie einige der Strategiespiele, die bei den Kindern noch immer im Schwange sind, oder ein äußerst kurioses Blasinstrument, das man erst mit seinem Atem aufpumpen muss, um ihm Töne zu entlocken. Man weiß auch von Ruinenstädten tief in den Bergen zu berichten, die einst die Wohnstätten dieser Fremden gewesen sein sollen. Doch nirgends in der Historie des Bergreichs, ob in mündlicher oder schriftlicher Überlieferung, habe ich einen Hinweis darauf gefunden, auf welche Weise dieses Volk untergegangen ist.
     
    Drei Tage später erreichten wir den Steinbruch und hatten nach überraschend sommerlich heißem Wetter einen anstrengenden Marsch hinter uns. Die Luft war erfüllt vom Duft der Gräser und Blumen, vom Gesang der Vögel und dem Summen der Insekten. Zu beiden Seiten der Gabenstraße stand das Leben in voller Blüte, und ich saugte es mit weit offenen Sinnen in mich auf, wobei ich mir mehr denn je meiner eigenen Lebendigkeit bewusst wurde. Der Narr verlor kein Wort mehr über seinen Schicksalsspruch, und ich war ihm dankbar dafür. Nachtauge hatte Recht. Es war schwer genug, um den Tod zu wissen; man musste sich nicht auch noch ständig mit ihm beschäftigen.
    Dann gelangten wir zu dem Steinbruch. Zuerst glaubten wir, in eine Sackgasse geraten zu sein. Die Straße führte wie in einer Art Rampe hinunter in einen von Menschenhand geschaffenen Felsschlucht, die etwa doppelt so groß wie die Grundfläche von Bocksburg war. Die Wände ragten senkrecht empor und waren gezeichnet von tiefen Narben, wo man gewaltige Blöcke herausgebrochen hatte. An manchen Stellen hingen Pflanzen von der oberen Kante herab und bedeckten den nackten Fels. Am hinteren Ende der Schlucht stand brackiges, grünes Regenwasser. Mehr Grün gab es nicht, denn es gab kaum Erde, worin eine Pflanze hätte Wurzeln schlagen können. Am Ende der Gabenstraße standen wir ganz offenbar vor dem rohen schwarzen Felsmassiv, aus dem die Steine für ihren Bau geholt und gefertigt worden waren. Als wir auf die Steilwand schauten, die uns gegenüberlag, fiel unser Blick auf schwarzen, von silbernen Adern durchzogenen Stein. Am Boden des Steinbruchs waren inmitten von Bauschutt und Geröll etliche gewaltige, hausgroße Blöcke liegengeblieben. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie man sie herausgelöst, geschweige denn transportiert hatte. Neben ihnen standen die Überreste großer Maschinen, die mich an Belagerungsgerät erinnerten. Ihr Holz war verrottet und ihre Metallbeschläge von Rost zerfressen. Und sie lagen da wie ein langsam zerfallendes Skelett. Im Steinbruch herrschte Grabesstille.
    Zwei Dinge erregten sofort meine Aufmerksamkeit. Das erste war der schwarze Pfeiler, der sich mitten auf unserem Weg erhob und der mit den gleichen Runen beschriftet war, die wir schon kannten. Das zweite Auffällige war das völlige Fehlen tierischen Lebens.
    Bei dem Pfeiler blieb ich stehen und spürte zu ihm hin, der Wolf ebenfalls. Kalter Stein.
    Vielleicht sollten wir jetzt lernen, Steine zu essen?, meinte der Wolf.
    »Wir werden heute Abend ein Stück gehen müssen, um Wild zu finden«, sagte ich.
    »Und sauberes Wasser«, fügte der Narr hinzu.
    Auch Kettricken war stehen geblieben. Die Jeppas hatten sich auf der Suche nach einem Weideplatz bereits zerstreut. Durch die Gabe und die Alte Macht war ich in besonderem Maße empfänglich für die Gefühle anderer Menschen, doch von Kettricken spürte ich nicht das Geringste. Ihr Gesicht blieb ruhig und ausdruckslos, und als ich sie anschaute, erschien es mir so schlaff, als könnte ich sie vor meinen Augen altern sehen. Ihr Blick irrte über den leblosen Stein, streifte mich und kehrte wieder zu mir zurück. Ihr Mund verzog sich zu einem schwachen Lächeln.
    »Er ist nicht hier«, sagte sie. »Wir sind diesen weiten Weg gekommen, und er ist nicht

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