Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
antwortete er jovial. »Aber mehr, als du glaubst.«
»Ihr Redet wie der Narr«, sagte ich bitter.
»Ja. Manchmal. Er ist auch jemand, der weiß, was Einsamkeit ist und wozu sie einen Menschen treiben kann.« Er holte Luft, und fast rechnete ich damit, dass er sagte, er wisse, was ich sei, und verurteilte mich nicht darum, doch er fuhr fort: »Ich glaube, der Narr hatte eine Unterredung mit dir, vor ein paar Tagen.«
Ich folgte ihm stumm und fragte mich, wie er so genau über so viele Dinge Bescheid wissen konnte. Die Gabe - natürlich.
Als wir in sein Arbeitszimmer traten, erwartete Charim uns bereits. Wie immer. Essen stand auf dem Tisch und Glühwein, und Veritas machte sich mit gesundem Appetit darüber her. Ich hatte nicht viel Hunger, aber ich saß ihm gegenüber und schaute mit Vergnügen zu, wie er diese einfache, herzhafte Mahlzeit genoss. In dieser Hinsicht war er immer noch ein Soldat, dachte ich. Er hatte gelernt, die kleinen Freuden zu schätzen, solange sie sich ihm boten, also zum Beispiel sich zu einem guten Essen auf einen bequemen Stuhl an einen ansprechend gedeckten Tisch zu setzen. Es war eine große Genugtuung, ihn so voller Lebenskraft zu sehen. Ich dachte mit Unbehagen an den Sommer, wenn er wieder jeden Tag von der Gabe Gebrauch machen musste, um nach Pi raten vor unserer Küste auszuspähen und sie mittels der Kraft seiner Gedanken irrezuleiten, während er unseren Leuten eine rechtzeitige Warnung zukommen ließ. Ich hatte den Veritas vor Augen, wie er im vergangenen Jahr zur Erntezeit gewesen war - abgemagert, das Gesicht von tiefen Falten durchzogen, und nur die Stimulanzien, die Chade in seinen Tee mischte, hatten ihn aufrecht gehalten. Sein Leben war auf die Stunden reduziert gewesen, die er mit der Gabe arbeitete. Auch in diesem Sommer würde der Hunger nach der Gabe jeden anderen Hunger verdrängen. - Ob Kettricken sich damit abfinden konnte?
Nach dem Essen setzten Veritas und ich uns über die Karten. Die Hinweise waren nicht länger zu leugnen. Ungeachtet aller Hindernisse durch Wälder, Flüsse oder die Schneewüste: Die Entfremdeten bewegten sich auf Bocksburg zu. Das war für mich ein Rätsel. Diejenigen, mit denen ich zu tun gehabt hatte, waren mir im höchsten Maße stumpfsinnig vorgekommen. Schwer zu glauben, dass einer von ihnen den Einfall haben könnte, sich über Stock und Stein auf den Weg zu machen, nur um nach Bocksburg zu gelangen. »Aber diese Aufzeichnungen, die Ihr gesammelt habt, lassen keinen anderen Schluss zu. Sämtliche Entfremdeten, die Ihr identifizieren konntet, marschieren auf Bocksburg.«
»Du hast Schwierigkeiten, es als einen überlegten Plan zu sehen?«
»Ich Begreife nicht, wie sie überhaupt einen Plan haben könnten. Wie haben sie sich untereinander verständigt? Und es scheint kein gemeinsames Unternehmen zu sein. Es ist nicht so, dass sie sich sammeln und in größeren Gruppen weiterwandern, sondern aus irgendeinem unerfindlichen Grund verspürt jeder Einzelne den Drang, sich in diese Richtung zu bewegen, und so schließen sich zufällig manche zusammen.«
»Wie Motten, die vom Licht angezogen werden«, bemerkte Veritas.
»Oder Fliegen vom Aas«, meinte ich prosaisch.
»Die einen wie verzaubert, die anderen gierig auf Nahrung«, sinnierte Veritas. »Ich wüsste gerne, was von beidem die Entfremdeten zu mir treibt. Vielleicht ist es auch etwas ganz anderes.«
»Glaubt Ihr denn, sie kommen Euretwegen?«
»Ich weiß es nicht. Doch wenn ich den Grund herausfinden kann, hilft es mir vielleicht, den Feind zu verstehen. Ich halte es für keinen Zufall, dass sämtliche Entfremdeten auf dem Weg nach Bocksburg sind. Ich glaube, sie ziehen gegen mich, Fitz. Vielleicht nicht aus eigenem Antrieb, aber es ist trotzdem ein Feldzug gegen mich. Ich muss herausfinden, was dahintersteckt.«
»Um sie zu verstehen, müsst Ihr werden wie sie.«
»Nanu.« Er sah nicht belustigt aus. »Wer hört sich jetzt an wie der Narr?«
Die Frage bereitete mir Unbehagen, und ich ging nicht weiter darauf ein. »Hoheit, als sich der Narr vor ein paar Tagen einen Spaß mit mir machte …« Die Erinnerung versetzte mir einen Stich, ich hatte immer geglaubt, der Narr wäre mein Freund. Doch jetzt ging es mir nicht um meine verletzten Gefühle. »Er hat mich auf seine hintersinnige Art auf einige Gedanken gebracht. Wenn ich seine Rätselsprüche richtig deute, dann hat er mir zu verstehen gegeben, dass ich nach anderen der Gabe Kundigen suchen soll, Männern und Frauen aus der
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