Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
beschäftigen.« Einen Moment lang ruhte sein Blick auf mir, dann öffnete er eine kleine Schatulle auf seinem Tisch und nahm einen Schlüssel heraus. »In meinem Schlafzimmer steht ein Schrank«, sagte er langsam. »Dort habe ich an Schrift rollen gesammelt, was ich finden konnte, in denen die Uralten erwähnt sind, und sei es nur bei läufig. Einige beschäftigen sich auch mit der Gabe. Du hast meine Erlaubnis, sie zu studieren. Bitte Fedwren um gutes Papier und mach dir Notizen von allem, was dir bemerkenswert erscheint. Überprüfe die Aufzeichnungen danach, ob sich bestimmte Muster ergeben. Und leg mir etwa jeden Monat deine Notizen dazu vor.«
Ich nahm den kleinen Messingschlüssel in die Hand. Er wog eigenartig schwer, fast wie als Symbol der Aufgabe, die der Narr angeregt und Veritas nun bekräftigt hatte. Suche nach Mustern, hatte er gesagt. Plötzlich erkannte ich ein solches, nämlich ein Netz von Fäden, das von mir zu dem Narren, zu Veritas und wieder zurück gesponnen war. Wie auch die anderen Muster, die Veritas gefunden hatte, so schien auch dieses nicht zufällig zu sein. Wer hatte es entworfen? Ich blickte Veritas an, doch er war mit seinen Gedanken weit fort. Ich entfernte mich leise.
Als ich die Türklinke niederdrückte, sagte er: »Komm zu mir. Morgen in aller Frühe. In meinen Turm.«
»Hoheit?«
»Vielleicht entdecken wir ganz unvermutet noch einen anderen Gabenkundigen in unserer Mitte.«
KAPITEL 12
ARBEITEN
V ielleicht der niederschmetterndste Aspekt unseres Konflikts mit den Roten Korsaren war das Gefühl der Hilflosigkeit, das von uns Besitz ergriff. Es war, als wäre das Land und seine Herrscher von einer furchtbaren Lähmung befallen. Die Taktik der Korsaren war dermaßen unbegreiflich, dass wir in dem ersten Jahr der Heimsuchung wie betäubt waren und kaum Gegenwehr ergriffen. Erst im zweiten Jahr versuchten wir, uns offensiver zu verteidigen. Doch unsere Kriegskunst wirkte wie eingerostet. Zu lange hatten wir es nur mit dem gewöhnlichen Raubgesindel zu tun gehabt, den Habgierigen wie den Verzweifelten. Gegen organisierte Piraten, die den Verlauf unserer Küste mit der Position unserer Wachtürme, Tiden, Strömungen und Untiefen genau erkundet hatten, waren wir weitgehend machtlos. Nur Prinz Veritas’ Gabe bot uns ein gewisses Maß an Schutz. Wie viele Schiffe er vom Kurs abbrachte, wie viele Navigatoren er verwirrte, wie viele Rudergänger er täuschte, werden wir niemals wissen. Doch weil seine Untertanen so nicht begreifen konnten, was er genau für sie tat, war es so, als blieben die Weitseher untätig. Man sah nur die erfolgreichen Überfälle der Piraten, niemals ihre Schiffe, die an den Klippen zerschellten oder von einem Sturm weit nach Süden abgetrieben wurden. Das Volk verlor darüber den Mut. Die Inlandprovinzen sträubten sich gegen Abgaben zum Schutz einer Küste, an der sie keinen Anteil hatten; die Küstenprovinzen stöhnten unter einer Last von Steuern, die ihnen dem Anschein nach keine Erlösung von dem Übel brachten. Wenn also die Begeisterung für Veritas’ Flotte sehr wankelmütig und abhängig von der jeweiligen Volksmeinung war, können wir den Menschen nicht wirklich einen Vorwurf machen. Es schien mir der längste Winter meines Lebens zu sein.
Von Veritas’ Arbeitszimmer begab ich mich zu Königin Kettrickens Gemächern. Ich klopfte und wurde von demselben kleinen Mädchen eingelassen wie zuletzt. Mit ihrem verschmitzten Gesicht und dem dunklen Lockenschopf erinnerte Rosemarie mich an eine Wasserfee. Drinnen empfing mich die bereits gewohnte bedrückte Atmosphäre. Mehrere von Kettrickens Frauen saßen auf Stühlen um ein weißes Leinentuch herum, das in einen Rahmen gespannt war. Sie bestickten die Ränder mit Blumen und Blättern in leuchtenden Farben. Ähnliche Zusammenkünfte hatte ich in Mistress Hurtigs Nähstube beobachtet, gewöhnlich ging es dabei heiter zu, es wurde geplaudert und gescherzt, die Nadeln zogen hurtig ihre Schweife aus buntem Garn durch den schweren Stoff. Nichts davon hier. Die Frauen arbeiteten mit gesenktem Kopf, waren emsig und geschickt, doch ohne fröhliche Unterhaltung. Parfümierte Kerzen, rosafarben und grün, brannten in allen Ecken des Zimmers und vermischten ihre Wohlgerüche über dem Rahmen zu einem bunten Duftgemisch.
Kettricken führte den Vorsitz über die Handarbeiten, ihre Hände regten sich so fleißig wie die aller anderen. Von ihr ging die Stille aus. Der Ausdruck ihres Gesichts war gelassen, beinahe
Weitere Kostenlose Bücher