Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
lassen, wenn wir uns nicht beeilen. Steh auf, verdammt!«
Ich war mit einem Satz aus dem Bett. Der Branntweinnebel verflog unter dem Schock dieser Neuigkeit.
»Was sollen wir tun?«, fragte ich einfältig.
»Es dem König mitteilen. Es Kettricken sagen und Edel. Nicht einmal Edel kann jetzt noch den Ernst der Lage verkennen, der Feind steht schon so gut wie auf unserer Türschwelle. Wenn die Korsaren Guthaven einnehmen und besetzen, haben sie uns in der Zange. Kein Schiff wird mehr ohne Gefahr aus unserem Hafen auslaufen können. Selbst Edel muss das begreifen. Nun geh, Junge! Geh!«
Ich streifte mir zusammen mit einem Waffenrock irgendeine Hose über und lief ungekämmt und barfuß zur Tür, als mir plötzlich etwas einfiel. »Und was sage ich, woher ich das weiß?«
Chade warf in hilfloser Verzweiflung die Hände in die Luft.
»Verdammt und zugenäht! Erzähl ihnen irgendetwas. Sag Listenreich, der Narbenmann hätte dir im Traum das Bild in einem klaren Teich gezeigt. Er wenigstens sollte den Hinweis verstehen! Sag ihnen, ein Uralter hätte dir die Botschaft überbracht. Denk dir etwas aus, aber bring sie zum Handeln, und zwar schnellstens!«
»Gut!« Ich stürmte zur Treppe, die Stufen hinunter und zwei Stockwerke tiefer den Flur entlang zu König Listenreichs Gemächern. Am Ende des Korridors stand Burrich auf seinem Posten. Er schaute zu mir her, als ich gegen die Tür hämmerte, zog sein kurzes Schwert und nahm eine kampfbereite Haltung an. »Piraten!«, rief ich ihm zu. Sollte es ruhig jeder hören. »Fünf Rote Schiffe in Guthaven! Weck die Königin! Sag ihr, unsere Hilfe wird gebraucht!«
Ohne weitere Fragen zu stellen, klopfte Burrich an Kettrickens Tür und wurde sofort eingelassen. Für mich war es nicht so leicht. Wallace lugte misstrauisch durch einen schmalen Spalt zu mir hinaus, stellte sich aber taub für meine Bitten, bis ich ihm den Vorschlag machte, er solle persönlich in die Große Halle eilen und Edel mitteilen, was sich zugetragen hatte. Ich nehme an, die Aussicht auf einen dramatischen Auftritt vor all den vornehmen Herrschaften am Hohen Tisch, während er sich vertraulich zu des Prinzen Ohr neigen würde, untergrub sein ansonsten so ausgeprägtes Pflichtbewusstsein. Er ließ die Tür unbewacht, als er zu seinem kleinen Alkoven hastete, um sich für seinen Auftritt dementsprechend zurechtzumachen.
Des Königs Schlafgemach lag völlig im Dunkeln, der Geruch von Rauchkraut hing schwer in der Luft. Ich griff mir im Wohngemach eine Kerze, entzündete sie am heruntergebrannten Feuer und ging hinein. Im Finstern wäre ich fast auf den Narren getreten, der wie ein Hund zusammengerollt vor dem Bett des Königs schlief. Ich schaute ungläubig auf ihn nieder. Er hatte nicht einmal ein Kissen oder eine Decke, sondern musste sich mit dem Vorleger begnügen. Erst streckte er sich nur schlaftrunken, dann aber schrak er hoch. »Was ist? Was gibt es?«, fragte er.
»Piraten in Guthaven. Fünf Rote Schiffe. Ich muss es dem König melden. Weshalb schläfst du hier? Fürchtest du dich, in dein eigenes Zimmer zurückzukehren?«
Er lachte bitter. »Eher, in dieses hier nicht mehr zurückkehren zu können, wenn ich es erst einmal verlassen habe. Das letzte Mal, als Wallace mich aus gesperrt hatte, musste ich eine Stunde lang klopfen und rufen, bevor der König meine Abwesenheit bemerkte und nach mir verlangte. Ein anderes Mal zuvor bin ich mit dem Frühstück hineingeschlüpft, und bei anderer Gelegenheit …«
»Man will dich von dem König trennen?«
Er nickte. »Mit Zuckerbrot oder der Peitsche. Heute Abend hat Edel mir einen Beutel mit fünf Goldstücken angeboten, ich solle mein schönstes Narrenkostüm anlegen und in die Halle hinunterkommen, um ihn und seine Gäste zu unterhalten. Oh, wie er sich darüber ausgelassen hat, nachdem du gegangen warst, wie man mich bei Hofe vermisst und welche Schande es sei, dass ich meine Jugend hier oben in der Abgeschiedenheit vergeude. Und als ich ihm antwortete, ich fände König Listenreichs Gesellschaft ersprießlicher als die von anderen Narren, warf er sogleich die Teekanne nach mir. Was unserem Freund Breitarsch ganz unverhohlenes Missvergnügen bereitete, hatte er doch gerade einen solchen abscheulichen Kräutersumpf gebraut, dass es einen nach dem Duft von Fürzen verlangen könnte.«
Während unseres Gesprächs hatte der Narr Kerzen angezündet und das Feuer im Kamin geschürt. Jetzt zog er einen der schweren Bettvorhänge zur Seite. »Majestät?«,
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