Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
Pferdeknechte waren meine hauptsächliche Quelle für Neuigkeiten und Gerüchte. Erfreuliches wussten sie nicht zu berichten. Vage Gräuelgeschichten von Überfällen auf Siedlungen in Bearns, Gerede über Raufereien in den Wirtshäusern und im Hafen von Burgstadt und Berichte über Familien, die nach Süden oder landeinwärts abwanderten, falls ihre Mittel es ihnen erlaubten. Wenn von Veritas und seiner Expedition die Rede war, äußerte man sich über beides nur mit Hohn und Spott. Man hatte aufgehört zu hoffen. Wie ich warteten die Einwohner von Burgstadt mit grimmiger Schicksalsergebenheit darauf, dass das Verhängnis über sie hereinbrach.
Ein Monat mit stürmischem Wetter sorgte dann für etwas gehobenere Stimmung, aber das Aufatmen und die übermütige Freude in Burgstadt hatten verheerendere Auswirkungen als die Zeit davor in banger Erwartung. Während eines besonders ausschweifenden Gelages geriet eine der Spelunken am Hafen in Brand. Das Feuer breitete sich aus und nur der sturzbachartige Regen im Gefolge der Sturmböen hinderte die Flammen daran, auf die Vorratsspeicher überzugreifen. Das wäre in mehr als einer Hinsicht eine Katastrophe gewesen, denn trotz der sich rapide leerenden Scheunen und Vorratslager oben in der Burg, sahen die Bürger der Stadt keinen Grund, sparsam mit dem umzugehen, was noch übrig war. Selbst wenn Bocksburg von den Piraten verschont blieb, war mir klar, dass wir für den Rest des Winters den Gürtel würden enger schnallen müssen.
Eines Nachts erwachte ich, weil es so still war. Das Heulen des Sturms und das Prasseln des Regens waren verstummt. Mir wurde ganz beklommen zumute. Eine schreckliche Vorahnung erfüllte mich, und als ich morgens aus dem Fenster den klaren Himmel sah, wurde meine Angst noch größer. Wie dem sonnigen Tag zum Hohn, war die Stimmung in der Burg Beklemmend. Etliche Male fühlte ich eine schmetterlingsleichte Berührung der Gabe. Es trieb mich zum Wahnsinn, denn ich konnte nicht unterscheiden, ob es Veritas war, der sich in mir regte, oder ob nicht Serene und Justin versuchten, mich zu bespitzeln. Ein Besuch bei König Listenreich und dem Narren am späten Nachmittag entmutigte mich vollends. Der König war fast bis auf die Knochen abgemagert, saß in seinem Bett und lächelte völlig geistesabwesend. Als ich mich ihm näherte, lächelte er mir dann kraft los entgegen und begrüßte mich mit den Worten: »Ah, Veritas, mein Junge. Wie ist heute deine Fechtstunde verlaufen?« Der Rest der Unterhaltung bewegte sich in ähnlichen Bahnen. Edel erschien kurz nach mir. Er saß auf einem betont unbequemen Stuhl mit strenger hoher Lehne, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und wandte den Blick nicht von mir ab. Zwischen uns wurde nicht ein einziges Wort gewechselt. Ich wusste nicht mehr, ob mein Schweigen reine Feigheit oder umgekehrt eher tapfere Selbstbeherrschung war. Wie auch immer, so bald es sich mit Anstand bewerkstelligen ließ, ergriff ich die Flucht, auch wenn ich da für mit einem vorwurfsvollen Blick des Narren gestraft wurde.
Der Narr selbst übrigens sah kaum besser aus als der König. In einem farblosen Gesicht wie dem seinen wirkten die dunklen Ringe unter den Augen wie aufgemalt. Sein Mundwerk war so still geworden wie die Schellen an seiner Kappe. Wenn König Listenreich sterben sollte, stand niemand mehr zwischen dem Narren und Edel. Ich fragte mich, ob es eine Möglichkeit gab, ihm zu helfen.
Ha! - Als ob ich mir denn selber helfen könnte.
In der Einsamkeit meines Zimmers ertränkte ich an diesem Abend meinen Kummer in jenem billigen Branntwein, den Burrich so verabscheute. Ich wusste, am nächsten Morgen würde ich mit einem scheußlichen Kater aufwachen, aber das war mir einerlei. Dann lag ich in meinem Bett und lauschte dem Lärmen der Feiernden in der Großen Halle. Wenn doch Molly hier wäre, um mich für meine Betrunkenheit auszuschimpfen. Das Bett war zu groß, die Laken gletscherweiß und kalt. Ich schloss die Augen und suchte Trost bei meinem Wolf. Eingesperrt in der Burg, hatte ich mir angewöhnt, nachts im Traum seine Gesellschaft zu suchen - was wenigstens eine Illusion von Freiheit darstellte.
Ich erwachte einen Wimpernschlag, bevor Chade mich packte und schüttelte. Ein Glück, dass ich ihn erkannte, sonst wäre ich ihm an die Kehle gegangen. »Auf!«, zischte er drängend. »Hoch mit dir, du betrunkener Nichtsnutz, du Idiot! Guthaven wird belagert. Fünf Rote Schiffe. Sie werden keinen Stein auf dem anderen
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