Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
den Gedanken, mich zu fragen, was mit mir wäre.
Während ich die Treppe zu meinem Zimmer hinaufstieg, versuchte ich mir Bocksburg vorzustellen, wie es künftig sein würde: der Hohe Tisch bei jeder Mahlzeit verwaist, das ausgegebene Essen einfach und sättigend, wie die Feldköche zu kochen gewöhnt waren. Das würde wenigstens so lange vorhalten, wie die restlichen Lebensmittelvorräte reichten. Bis zum Frühjahr würden wir eine Menge Wild und Seetang vorgesetzt bekommen. Um Philia und Lacey machte ich mir größere Sorgen als um mich selbst. Behelfsmäßige Quartiere und derbe Kost machten mir nichts aus, aber sie waren an dergleichen nicht gewöhnt. Wenigstens war Samten noch hier, um zu singen, wenn er nicht, weil man ihn verschmäht hatte, in Melancholie versank. Und Fedwren. Da er nur noch wenig Kinder zu betreuen hatte, konnten er und Philia sich vielleicht ihren Forschungen auf dem Gebiet der Papierherstellung widmen. Was half’s, man musste gute Miene zum bösen Spiel machen.
»Wo bist du gewesen, Bastard?«
Serene, die plötzlich aus einer Türnische trat. Sie hatte damit gerechnet, dass ich erschrak, aber dank der Macht wusste ich, dass jemand dort lauerte. Ich zuckte nicht mit der Wimper. »Ich war spazieren.«
»Du riechst wie ein Hund.«
»Wenigstens kann ich mich damit entschuldigen, bei Hunden gewesen zu sein. So viele man uns im Stall gelassen hat.«
Sie brauchte einen Moment, um die Beleidigung in meiner höflichen Antwort zu entdecken.
»Du riechst wie ein Hund, weil du selber mehr als zur Hälfte einer bist. Tiermagier.«
Fast hätte ich mich mit irgendeiner Spitze gegen ihre Mutter revanchiert, doch unvermittelt kam mir tatsächlich eine konkrete Erinnerung an sie. »Als wir unsere ersten Schreibstunden hatten, weißt du noch, wie deine Mutter dir immer einen dunklen Kittel anziehen musste, weil du so mit der Tinte gekleckst hast?«
Sie starrte mich argwöhnisch an, während sie überlegte, ob auch diese Bemerkung eine verborgene Beleidigung oder Doppeldeutigkeit enthielt.
»Ja und?«, fragte sie schließlich. Es ließ ihr keine Ruhe.
»Nichts weiter. Es ist mir nur gerade so eingefallen. Manchmal scheint es noch gar nicht so lange her zu sein, dass ich dir geholfen habe, die Schnörkel an den Buchstaben ordentlich zu setzen.«
»Das hat nichts mit hier und heute zu tun!«, erklärte sie aufgebracht.
»Nein, allerdings nicht. Das ist meine Tür. Wolltest du, dass ich dich mit ins Zimmer nehme?«
Sie spuckte mir vor die Füße. Bocksburg war nicht mehr ihr Zuhause, und sie fand nichts dabei, es zu besudeln, bevor sie fortging. Sie verriet mir damit, dass sie nicht damit rechnete, jemals wieder hierher zurückzukehren.
In meinem Zimmer machte ich von sämtlichen Riegeln Gebrauch und legte zusätzlich den starken Querbalken vor. Das Fenster war noch fest verschlossen, als ich es überprüfte. Zur Sicherheit schaute ich noch unters Bett, bevor ich mich vor den Kamin setzte, um die Augen zuzumachen und etwas zu ruhen, bis Chade mich rief.
Ein leises Klopfen an der Tür weckte mich aus dem leichten Halbschlaf. »Wer ist da?«
»Rosemarie. Die Königin wünscht Euch zu sehen.«
Bis ich so weit war, meine nach allen Regeln der Kunst verrammelte Tür wieder öffnen zu können, war das Kind bereits verschwunden. Sie war nur ein kleines Mädchen, trotzdem fand ich, sie dürfte beim Überbringen ihrer Botschaften nicht so unbekümmert sein. Ich brachte hastig mein Äußeres in Ordnung und eilte dann die Treppe hinunter und den Flur entlang. Im Vorbeigehen warf ich einen Blick auf die Trümmer dessen, was einst die Eichentür zu König Listenreichs Gemächern gewesen war. Ein breitschultriger Soldat stand in der Öffnung. Es war ein Mann aus Farrow, den ich nicht kannte.
Königin Kettricken ruhte auf einer Polsterbank dicht am Kamin. Ihre Hofdamen standen in Grüppchen beisammen und tuschelten, aber sie war allein. Ihre Augen waren geschlossen. Sie sah dermaßen erschöpft aus, dass ich mich fragte, ob Rosemarie vielleicht etwas falsch verstanden hatte.
Doch Lady Hoffnungsfroh winkte mich schon herbei und stellte mir einen Hocker neben die Bank. Als sie mir Tee anbot, nickte ich. Kaum war sie gegangen, um ihn aufzugießen, schlug Kettricken die Augen auf. »Wie geht es weiter?«, fragte sie mit so leiser Stimme, dass ich mich vorbeugen musste, um sie zu verstehen.
Ich schaute sie abwartend an.
»Der König schläft, aber er kann nicht ewig schlafen. Was immer man ihm gegeben hat, die
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