Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
Manches läuft in eingefahrenen Bahnen weiter wie bisher, das heißt, insofern die Leute, die mit den betreffenden Pflichten betraut waren, hierbleiben. Doch sobald die Nahrungsmittel knapp werden, wird man sich fragen, weshalb Vorräte in einem leerstehenden Teil der Burg lagern. Aber wir sprachen von Listenreichs Wohlergehen, nicht von meinem.«
»Es hängt davon ab, auf welche Weise der König verschwindet. Falls es den Anschein hat, dass er auf normalem Weg geflohen ist, wäre er hier eine Zeit lang sicher. Doch wenn Edel weiß, dass er sich noch in der Burg befindet, wird er vor nichts zurückschrecken, um ihn zu finden. Ich könnte mir denken, dass einer seiner ersten Befehle wäre, mit Hämmern die Wände im Schlafgemach des Königs einzureißen.«
»Plump, aber wirkungsvoll«, nickte Chade.
»Hast du in Bearns oder Rippon einen Zufluchtsort für ihn gefunden?«
»So kurzfristig? Selbstverständlich nicht. Wir müssten ihn hier verstecken, für einige Tage oder vielleicht sogar Wochen, bevor für ihn ein Platz hergerichtet wäre. Und dann müsste man ihn noch aus der Burg schmuggeln. Dazu ist es nötig, die Torwachen zu bestechen. Leider haben jedoch Menschen, die sich bestechen lassen, die unglückselige Neigung, für genügend Geld später darüber zu reden. Es sei denn, sie hätten diesen oder jenen Unfall.« Er schaute mich an.
»Darum mach dir keine Sorgen, es gibt noch andere Möglichkeiten, aus Bocksburg hinauszukommen.« Ich dachte an Nachtauges Weg. »Wir haben ein viel größeres Problem, und das ist Kettricken. Sie wird auf eigene Faust etwas unternehmen, wenn wir sie nicht bald in unser Vorhaben einweihen. Heute Abend hat sie vorgeschlagen, zusammen mit dem König die Flucht ins Bergreich zu wagen.«
»Eine schwangere Frau und ein kranker alter Mann, mitten im Winter? Lächerlich.« Chade überlegte. »Andererseits - damit würde kein Mensch rechnen. In der Richtung wird man kaum nach ihnen suchen. Und bei der Völkerwanderung den Bocksfluss hinauf, die Edel ausgelöst hat, fallen eine junge Frau und ihr siecher Vater nicht weiter auf.«
»Es ist trotzdem lächerlich«, protestierte ich. Das Funkeln in Chades Augen wollte mir nicht gefallen. »Wer soll sie begleiten?«
»Burrich. Das hält ihn davon ab, sich aus Langeweile zu Tode zu trinken. Er könnte ihre Tiere versorgen und sich auch sonst um sie kümmern. Wäre er bereit dazu?«
»Was fragst du! Aber Listenreich würde die Anstrengung nicht überleben.«
»Der Tod auf einer solchen Reise ist ihm weniger sicher als unter Edels Obhut. Das, was ihn von innen her auffrisst, wird ihn letztendlich besiegen, wo immer er sich auch Befindet.« Er runzelte die Stirn. »Aber wes halb die Krankheit in den letzten Tagen diesen bedenklich raschen Verlauf nimmt, ist mir ein Rätsel.«
»Die Kälte. Die Entbehrungen. Es wird ihm nicht guttun.«
»Auf einem Teil des Weges gibt es Wirtshäuser. Etwas Geld kann ich ihnen mitgeben. Listenreich hat nur noch so wenig Ähnlichkeit mit dem Mann, der er gewesen ist, dass wir keine Angst haben müssen, man könnte ihn erkennen. Die Königin - das ist etwas anderes. Es gibt nur wenige Frauen von ihrer Größe, mit ihrem Teint und ihren Haaren. Den noch, mit dicker Winterkleidung und einer Kapuze auf dem Kopf …«
»Das kannst du nicht ernst meinen.«
»Morgen Nacht«, antwortete er. »Bis morgen Nacht muss etwas geschehen. Dann verliert der Schlaftrunk, den ich Listenreich gegeben habe, seine Wirkung. Vorläufig, das heißt, bis sie auf dem Weg nach Burg Fierant ist, wird man wohl keinen Anschlag mehr auf die Königin verüben. Doch wenn Edel sie erst in seiner Gewalt hat… nun, auf einer Reise können alle möglichen Unfälle passieren. Ein Sturz von einem Kahn in den eiskalten Fluss, ein durchgehendes Pferd, eine Mahlzeit mit verdorbenem Fleisch. Wenn sein Assassine nur halb so gut ist wie wir, wird er sich seines Auftrags mit Bravour entledigen.«
»Edels Assassine?«
Chade warf mir einen mitleidigen Blick zu. »Du glaubst doch nicht, unser Prinz würde sich dazu herablassen, selbst Schmalz und Lampenruß auf Treppenstufen zu schmieren, oder?«
»Serene.« Ganz von selbst kam mir der Name auf die Lippen.
»Dann ist sie es auf keinen Fall. Nein, wir werden feststellen, dass es sich um einen Mann mit liebenswürdigem Wesen und einem gutbürgerlichen Leben handelt. Falls wir je herausfinden, wer es ist. Nun ja, lassen wir das vorläufig beiseite. Obwohl kaum etwas faszinierender ist als die Jagd auf
Weitere Kostenlose Bücher