Fix und forty: Roman (German Edition)
einem neuen Fläschchen bordeauxrotem Nagellack und einer Literaturzeitschrift. »Hier«, sagte er forsch und reichte mir einen vormittäglichen Gin Tonic. »Zeit für deine Pillen!«
Meine beste Freundin Lola, die in jenem Sommer zufällig in den Staaten war, flog extra ein, um mir Gesellschaft zu leisten. Lola war genau die Selbsthilfegruppe, die ich brauchte, und ihr Timing war perfekt. Schlimm genug, dass Nick meinen Urin schwenken musste; ich wollte nicht, dass er mich auch noch badete und auf die Bettpfanne setzte. Nick und ich gehörten zu den Ehepaaren, die nicht nur getrennte Badezimmer bevorzugten, sondern am liebsten welche hätten, die sich an gegenüberliegenden Enden des Gebäudes befanden. Mit Lola dagegen hatte ich seit fünfunddreißig Jahren immer mal wieder das Bad geteilt, und deshalb war sie es, die mir während ihres Besuchs beim Duschen half. Ich war so schwach, dass ich mir nicht einmal selbst die Haare waschen konnte.
Doch Lola und ich sahen uns viel zu selten, seit sie mit einem Italiener verheiratet war, und trotz des Urinbeutels wollten wir aus den zwei Wochen, die wir miteinander verbrachten, unbedingt das Beste machen. Wir brannten darauf, shoppen zu gehen.
In Italien stehen die meisten Exil-Amerikaner vor einer Herausforderung, wenn es um Shopping geht. Erstens ist alles furchtbar überteuert. Zweitens ist in Italien nur zweimal im Jahr Ausverkauf. Drittens gibt es in Italien keine Kleidergrößen für Frauen mit großzügigen Opernsängerinnenpopos. Also wartet Lola immer mit dem Shopping, bis sie wieder in den Staaten ist, und in diesem Sommer konnten wir es trotz meiner postoperativen Gebrechlichkeit beide kaum erwarten, dem Outlet von Nordstrom einen Besuch abzustatten. Wir überlegten, wie sich ein Nachmittag bei Nordstrom in die Tat umsetzen ließe. »Lass uns den Urinbeutel einfach in einen bunten Stoffbeutel stecken, dann kannst du ihn wie eine Handtasche tragen«, schlug Lola vor.
»Aber man sieht doch den Schlauch, der unter meinem Rock herauskommt«, entgegnete ich. »Und was ist mit dem kleinen Problem, dass ich noch nicht laufen kann?«
»Du stützt dich einfach auf den Einkaufswagen«, erklärte Lola. »Der ist wie eine Gehhilfe, nur mit eingebautem Korb. Außerdem glaube ich nicht, dass dein Urinschlauch irgendwem auffällt. Er ist doch durchsichtig.«
»Aber es wandern ständig Urinblasen durch«, wandte ich skeptisch ein. »Sieh mal, jetzt zum Beispiel.« Während die Blase durch den Schlauch kroch, versuchte mein Kater Roscoe, sie zu fangen. »Hey, Blödmann«, schimpfte ich, »das ist kein Spielzeug. Das ist PIPI. Ich weiß nicht, Lola. Bin ich bereit, in aller Öffentlichkeit zu pinkeln?«
»Hör zu«, sagte Lola, »geh einfach ganz offen damit um. Wie mit einer Behinderung, die du zu akzeptieren gelernt hast. ›Nicht ohne meinen Urinbeutel.‹ Dauernd kratzen und rubbeln Leute in aller Öffentlichkeit an ihrer Schuppenflechte herum. Oder denk an den Typen im Café neulich, der sich mit einer offenen Kopfwunde Frühstück bestellt hat: Waffeln und Schweinswürstchen und ein frisches, noch leicht blutiges Stück Schorf. Und was ist mit den ganzen jungen Müttern, die in aller Öffentlichkeit ihre Brüste rausholen und vor Gott und der Welt ihre Kinder stillen!«
»Stimmt«, sagte ich überzeugt. »Auch wenn sich alle vor der Kopfwunde geekelt haben, keiner hat was gegen Stillen in der Öffentlichkeit! Und wenn Frauen ihre riesigen milchigen Nippel zeigen dürfen, brauche ich mich wegen meines Urinschlauchs auch nicht zu schämen.«
»Zeig, was du hast!«, rief Lola.
Und so kam es, dass ich meinen Urinbeutel in eine türkisfarbene Lacktasche packte, um mit urinösem Eifer in aller Öffentlichkeit shoppen zu gehen. Die Mission war außerordentlich erfolgreich, bis auf die Tatsache, dass ich später auf die Klammer des Urinbeutels trat und den Beifahrersitz meines Wagens flutete. Lola spritzte stoisch den VW Käfer aus und argumentierte, die Säuberungsaktion sei ein geringer Preis für all die tollen Schnäppchen, die wir gemacht hätten. Und nur eine Woche später wurde ich von den Ärzten auf die Sorte Urinbeutel upgegradet, die man sich mit Klettband am Oberschenkel festmacht, wie ein schmutziges Geheimnis unter dem Rock. Ein halbes Semester lang habe ich damit unterrichtet. Und ich kann Ihnen sagen, wenn es draußen über dreißig Grad heiß ist, gibt es nichts, was einen so sehr an die eigene Sterblichkeit erinnert, wie ein dampfender Beutel mit heißem
Weitere Kostenlose Bücher